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Weitaus mehr Frauen als Männer essen vegetarisch

Von Frank Ufen

Wissen

Wer sich als Macho versteht, empfindet fleischloses Essen als "Weiberkost".


Berlin. Nicht nur Skandale wie der jüngste mit falsch deklariertem Pferdefleisch lassen vielen den Appetit auf Fleisch vergehen. Man schätzt, dass sich in den USA und Australien jeweils 3 Prozent der erwachsenen Bevölkerung vegetarisch ernähren. In Portugal sind es nur 0,3 Prozent, in Dänemark 1,5 Prozent, in Schweden und Österreich jeweils 3 Prozent, in Großbritannien 6 Prozent und in Deutschland und in der Schweiz jeweils 9 Prozent. Die Verfechter vegetarischer Kost sind also überall in der Minderheit. Doch ihre Zahl wächst, in Deutschland hat sie sich im Verlauf der letzten 30 Jahre sogar verfünfzehnfacht.

Ebenso gewaltig sind die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Nach wie vor ist die Zahl der Vegetarierinnen und Veganerinnen mehrfach so hoch wie die der Vegetarier und Veganer. Nach einer Forsa-Erhebung aus dem Jahre 2001 ernährten sich in Deutschland zu jener Zeit 13 Prozent der Frauen vegetarisch, doch lediglich 3 Prozent der Männer.

Um die Sache zu klären, hat der US-amerikanische Sozialpsychologe Hank Rothgerber (Bellamine University, Louisville, Kentucky) kürzlich zwei aufschlussreiche empirische Studien durchgeführt. Er berichtete darüber im Fachjournal "Psychology of Men & Masculinity". In der ersten Untersuchung hatte sollten 73 weibliche und 52 männliche Testpersonen ihre Ernährungsgewohnheiten bis ins letzte Detail angeben und, wenn sie regelmäßig Fleisch konsumierten, darüber Auskunft geben, wie sie das gegenüber anderen und sich selbst ideologisch rechtfertigen würden. Dann versuchte Rothgerber herauszufinden, in welchem Maße seine Versuchspersonen - dieses Mal 45 Frauen und 44 Männer - den althergebrachten stereotypen Vorstellungen von Männlichkeit verhaftet waren. Er wandte die "Male Role Norm Scale" an und konnte so messen, in welchem Grad seine Probanden diese Vorstellungen teilten. Danach sollten die Probanden Auskunft darüber geben, ob sie dem Vegetarismus zustimmend oder ablehnend gegenüberstehen würden, und ihre Einstellung kurz begründen.

Statistischer Zusammenhang

Rothgerber entdeckte einen aussagekräftigen statistischen Zusammenhang: Je mehr sich seine männlichen Testpersonen selbst als Machos verstanden, desto wahrscheinlicher war es, dass sie reichlich Fleisch konsumierten, den Fleischkonsum öffentlich zelebrierten und ihn unverblümt biologistisch rechtfertigten. Menschen, behaupteten diese Männer typischerweise, hätten schon immer Fleisch gegessen und nichts spräche dagegen, dass sie es nicht auch weiterhin tun sollten. Viel rotes Fleisch zu sich zu nehmen, wäre für die Gesundheit und für einen athletischen Körper unbedingt erforderlich. Außerdem wäre der Mensch dem Tier geistig hoch überlegen und Tiere würden ohnehin wenig oder gar keine Schmerzen spüren. "Es gibt eine Gruppe von Männern, die von dem, was sie Weiberkost nennen, lieber die Finger lassen und die in einen Double Whopper beißen, um so ihre Männlichkeit zu demonstrieren", eklärt Rothgerber.

Dagegen empfanden von den Frauen, die Rothgerber befragte, die meisten das Essen von Fleisch als eher unweiblich, und sie taten sich schwer damit, diese Praxis ähnlich direkt-aggressiv zu rechtfertigen wie die Männer. Im Gegensatz zur Mehrheit der männlichen Testpersonen neigten sie dazu, zwischen fleischlicher Nahrung und den Tieren, die sie liefern, radikal zu trennen und jeden Gedanken an das Leiden der Tiere, an Massentierhaltung und Schlachthöfe zu verdrängen.

Rothgeber räumt ein, etliche Fragen noch nicht gelöst zu haben. Doch er ist fest davon überzeugt, dass das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern umso geringer ist, je mehr sich in einer Gesellschaft die vegetarische Ernährungsweise durchgesetzt hat.

Typisch für Patriarchat

Die Anthropologin Peggy Sanday habe "durch eine Analyse von über 100 präindustriellen Kulturen zu Tage gefördert, was für Gesellschaften, in denen große Mengen an Fleisch verbraucht werden, charakteristisch sei: Dort gibt es ein Patriarchat, es gibt eine strikte geschlechtliche Arbeitsteilung, die Frauen haben wenig zu sagen, sind allein für den Nachwuchs zuständig und beten männliche Gottheiten an. Gesellschaften mit pflanzlicher Kost als Ernährungsgrundlage hingegen sind am egalitärsten", sagt Rothgerber, der selbst zur Minderheit der Vegetarier gehört.