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Wie das Gehirn Schwarz-Weiß-Bilder in Farbe umsetzt

Von Frank Ufen

Wissen

Erstaunliche neue Erkenntnisse deutscher Neurowissenschafter.


Hamburg. Schwarz-Weiß-Fotos scheinen mit simplen Mitteln äußerst präzise und unverfälschte Abbilder zu liefern. In Wahrheit sind sie aber höchst artifizielle Gebilde, die ein Kontinuum von Farbabstufungen in ausgeprägte Kontraste verwandeln. Streng genommen gibt es auch die Schwarz-Weiß-Fotografie erst seit dem 20. Jahrhundert. Nach den Erkenntnissen der Zürcher Kunsthistorikerin Bettina Gockel schillerten im 19. Jahrhundert die Fotos noch silbrig, rosa oder gelb - je nach dem Aufnahmeverfahren, das angewendet wurde.

Doch wie viel Farbe ergänzt das Gehirn automatisch beim Betrachten von Schwarz-Weiß-Aufnahmen, wenn es die originale Farbe der abgebildeten Objekte schon kennt? Das haben die Tübinger Neurowissenschafter Michael Bannert und Andreas Bartels experimentell untersucht und kürzlich darüber im Fachjournal "Current Biology" berichtet.

Die Neurowissenschafter präsentierten Versuchspersonen zum einen Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Bananen, Erdbeeren, Brokkoli sowie von weiteren Objekten, denen üblicherweise eine ganz bestimmte Farbe zugeordnet wird; zum anderen Ringmuster in den Farben Gelb, Rot, Grün und Blau. Um zu verhindern, dass die Probanden sich allzu viele Gedanken über Farben machten, erhielten sie zur Ablenkung die Aufgabe, genau darauf zu achten, in welcher Richtung sich die Objekte auf dem Computer-Bildschirm drehten. Die Hirnaktivität der Versuchspersonen wurde währenddessen von einem Magnetresonanz-Scanner aufgezeichnet.

Das Experiment förderte Erstaunliches zu Tage: Die charakteristischen Aktivitätsmuster, die sich beim Betrachten der verschiedenen Schwarz-Weiß-Fotos im Gehirn bildeten, entsprachen in hohem Maße den jeweiligen Aktivitätsmustern, die durch die Wahrnehmung der gelben, roten grünen und blauen Ringe hervorgerufen wurden. Anhand dieser Aktivitätsmuster ist es sogar möglich zu erschließen, welche Farbe die Objekte hatten, von denen die Versuchspersonen nur schwarz-weiße Abbilder gesehen hatten.

Ein Mechanismus der Evolution zum Überleben?

"Besonders interessant war, dass die Farben der Objekte nur in der primären Sehrinde nachweisbar waren", erklärt Bannert. Die primäre Sehrinde ist die Station, wo die Verarbeitung und Aufbereitung der von der Netzhaut des Auges übermittelten visuellen Daten beginnt. Man nimmt an, dass dieses Gehirnareal das von den Augen Wahrgenommene wahrheitsgetreu abbildet. Es ist aber nur für die elementarsten Formen der optischen Wahrnehmung ausgerüstet und verfügt nicht über das Vermögen, sich ein Wissen über Gegenstände und die Farben, die für sie typisch sind, selbst zu beschaffen. Doch möglicherweise benutzt das Gehirn das Vorwissen über die typische Farbe vertrauter Gegenstände, sobald die Wahrnehmung dieses Attributs aufgrund schlechter Sichtverhältnisse beeinträchtigt ist.

Michael Bannert und Andreas Bartels vermuten, dass es sich hierbei um einen Mechanismus handeln könnte, den die Evolution hervorgebracht hat, um die menschliche Spezies dabei zu unterstützen, in einer feindlichen Umwelt zu überleben.

"Überprüft haben wir das nicht", sagt Bannert. "Es ist nur eine Vermutung, dass wir einen Teil eines neuronalen Mechanismus sichtbar gemacht haben, der dafür sorgt, dass wir die Farbe von Objekten als stabile Eigenschaften erleben, auch wenn sich die Sichtbedingungen ständig verändern - zum Beispiel mehr Blauanteile im Licht zur Mittagszeit, mehr Rotanteile beim Sonnenuntergang et cetera."