Diese problematischen Konsumgewohnheiten, die noch lange nicht mit Suchtverhalten gleichzusetzen sind, sind weit verbreitet. Ungefähr zwanzig bis dreißig Prozent der österreichischen Bevölkerung pflegen einen riskanten Umgang mit der Droge. Ungefähr fünf Prozent sind von der Alkoholkrankheit im engeren Sinne betroffen, so Michael Musalek, dem "Abhängigkeitssyndrom", wie der Fachterminus lautet. Dabei sind wissenschaftlich immer noch die Klassifizierungen im Umlauf, die der Biologe Elvin Morton Jellinek 1951 entwickelte: Der Alpha-Typ, der Erleichterungstrinker, der Alkohol benützt, um Spannungen zu lösen. Der Beta-Typ, der bei sozialen Anlässen große Mengen trinkt, aber noch nicht körperlich von der Droge abhängig ist. Abhängig im engeren Sinne sind der Gamma-Typ, der hin- und hergerissen ist zwischen abstinenten Phasen und völligem Kontrollverlust, der Delta-Typ, der Spiegeltrinker, der bestrebt ist, den Alkoholspiegel im Blut Tag (und Nacht) auf gleichem Niveau zu halten, sowie der Epsilon-Typ, früher auch Quartalstrinker genannt, der in Intervallen völlig die Kontrolle über den Konsum der Droge verliert.
Viele Alkoholkranke leben drei bis acht Jahre mit den verheerenden Folgen der Krankheit, ehe sie zur Behandlung kommen, zum Beispiel ins Sonderkrankenhaus in Kalksburg. Und obwohl Michael Musalek tagtäglich mit ihren Geschichten konfrontiert ist, lebt er selbst keineswegs abstinent. "Ich liebe Rotwein", sagt er, "lege aber Wert auf Qualität und auf die Einhaltung der Spielregeln."
"Bewusst und gut"
Auf diesem Gebiet gibt es eine Menge erfreulicher Entwicklungen, wie Michael Musalek betont. Zum Beispiel in den österreichischen Weinbauschulen, an denen man sich schon seit längerem auch im Unterricht mit den Gefahren des falschen Alkoholkonsums auseinandersetzt. Eine Information, die Reinhard Eder bestätigt, Direktor der Höheren Bundeslehranstalt für Wein- und Obstbau in Klosterneuburg, der "ältesten Weinbauschule der Welt", wie er stolz hinzufügt. Gegründet vom Stift im Jahr 1860, als der Mehltau einen großen Teil der Ernte vernichtete, wurde sie 1870 vom Staat übernommen und ausgebaut. Töchterinstitute entstanden in vielen Ländern der Monarchie, darunter in San Michele, Budafog, Valdice oder Marburg. Man hat also eine große Tradition im Umgang mit Wein und Alkohol im weiteren Sinne.
Reinhard Eder, soeben von einer Dienstreise zur Fachtagung der Oenologen, also der Weinforscher, in Paris zurückgekehrt, bestätigt, dass man sich an seiner Schule bewusst mit den Risiken befasst, die der Umgang mit Alkohol mit sich bringt. Ein großer Teil seiner Schülerinnen und Schüler (alles in allem 200) sind an dem Institut, weil sie eines Tages zu Hause einen Betrieb übernehmen werden. Die gesundheitlichen Gefahren im Umgang mit alkoholischen Getränken sind ein Thema im Unterricht. Außerdem gibt es an der Schule seit ein paar Jahren Alkomaten und regelmäßige Kontrollen. "Das ist ganz anders als zu meiner Zeit", sagte der Direktor, der seinerzeit selbst an der Höheren Bundeslehranstalt in Klosterneuburg maturiert hat. "Damals waren die Trunkenbolde noch Helden der Klasse." Ganz ähnlich sieht es einer der Schüler des Abschlussjahrgangs bei einem Gespräch im Hof der Schule. "Wir haben hier sicher weniger Probleme mit Alkohol als an anderen Schulen", sagt er mit dem gewissen Stolz, der den Klosterneuburgern eigen zu sein scheint.
Alles in allem hat sich der Umgang mit Wein (und Edelbränden, die ebenfalls an der Schule hergestellt werden) verändert, sagt Reinhard Eder und stellt eine Rechnung an. Vor dreißig bis vierzig Jahren habe ein Weinbauer auf einer Anbaufläche von zehn Hektar ungefähr 200.000 Flaschen im Jahr produziert und grob geschätzt zu einem Preis von einem Euro verkaufen können. Heute wären es auf derselben Fläche vielleicht noch 50.000 Flaschen, die um vier oder fünf Euro verkauft würden und ungefähr denselben Umsatz ergeben. Das setzt höhere Qualität in der Arbeit im Weinberg und einen anderen Umgang mit dem Endprodukt voraus. Die Branche wächst nicht mehr und die Linie der Zukunft, so der Direktor, könne nur heißen: "bewusst und gut". Deswegen zielt sein Zukunftsplan für die Schule auch darauf, Küche und Speisen ins Haus zu bringen und sich mehr der Verbindung von Wein und gutem Essen zu befassen.
Einen ähnlichen Gedanken formuliert auch der Wirt Anton F., der sein Lokal in den neunziger Jahren übernommen hat. Damals hatte es noch mehr Stehpulte und mehr Kunden gegeben, die nur auf den Konsum von Hochprozentigem aus waren. Seit er auf gedeckte Tische und ein solide Küche Wert legt, sei die Fraktion an der Theke, die dort am Rande des Abgrunds balanciert, kleiner geworden. Auch die Veränderungen des Gesetzes, wonach sich strafbar macht, wer mit einem Alkoholgehalt von mehr als 0,5 Promille im Blut Auto fährt, habe viel am Verhalten der Kundschaft geändert.
Es gibt also positive Entwicklungen im Umgang mit Alkohol. Was allerdings den Abgrund nicht weniger gefährlich macht, an dessen Rand die Truppe an der Theke im Lokal von Anton F. Abend für Abend balanciert.