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Wien wird zum Vogelparadies

Von Eva Stanzl

Wissen

Das Naturhistorische Museum erhält eine bedeutende Sammlung mit 19.000 Vögeln. Die Bälge dienen der Forschung.


Wien bekommt neue Vögel. Limosa lappincia etwa stammt aus Greenborough in Kent, oder Pyrrhula pyrrhula aus Wakefield in Sussex. Das in Südengland beheimatete Harrison Institute, eine gemeinnützige Stiftung zur Taxonomie von Säugetieren und Erforschung von Biodiversität, hat dem Naturhistorischen Museum (NHM) Wien 19.000 Vogelbälge geschenkt. Die Bälge vertreten 884 Arten. Sie ergänzen die aus 130.000 Objekten bestehende Vogelsammlung des Museums. Aufgrund einer langjährigen Kooperation und einer historischen Zusammenarbeit fiel die Wahl der Briten auf Österreich.

Der britische Reeder James Harrison (1892-1971) war in seiner Freizeit ein passionierter Vogelsammler, der Gefiedermuster in Streifen, Flecken und Punkten ordnete, und die Verbreitung der Tiere studierte, indem er farbliche oder geografische Unterschiede innerhalb der Arten abglich. Als Ornithologe unternahm er Sammlungsexpeditionen in alle Welt. Harrison brachte 330 wissenschaftliche Publikationen hervor, war seit seinem 12. Lebensjahr ein versierter Vogelpräparator und stand in intensivem Kontakt mit dem NHM.

Es entstand die "Harrison Bird Collection", die sein Sohn Jeffery, ein Naturforscher, Enten- und Wattvogel-Experte, weiter ausbaute. Der überwiegende Teil der Flügelträger stammt aus Großbritannien. Weitere Herkunftsländer sind Österreich, die Schweiz, Frankreich, Deutschland, Japan, die USA, Südosteuropa und der Nahe Osten, sowie die Antarktis und die Falklandinseln.

Wie sich Arten verändern

Allerdings wurde die Harrison Bird Collection in jüngerer Zeit nur noch eingeschränkt genutzt. Der Fokus der Stiftung hat sich vom musealen Sammlungswesen hin zur Ausbildung für Studierende und Forschende gewandelt. Mit Stiftungs- und Spendermitteln werden Interessierte, vor allem im globalen Süden und den Tropen, wo die größte Artenvielfalt herrscht, für Feldforschung im Artenschutz ausgebildet.

"Dies wird unsere wissenschaftliche Sammlung bereichern", sagte NHM-Generaldirektorin Kathrin Vohland vor Journalisten am Freitag. Neun Exemplare befinden sich, feinsäuberlich etikettiert mit Datum, Fundort, Artenzugehörigkeit und Geschlecht, bereits in der Sammlung für Vogelkunde. Der Rest wird, sobald Brexit-bedingte Hürden genommen sind, im Container von Großbritannien nach Wien gebracht. "Vögel sind wichtige Indikatoren dafür, wie es um die biologische Vielfalt bestellt ist. Wir werden fast ein Jahr lang in unserem Hof einen Container haben, bis wir Bälge biosystematisch in unsere Sammlung eingeordnet sind", sagte Vohland. Damit die globale Forschungscommunity etwas damit anfangen kann, müssen die neuen Exemplare auch digitalisiert werden.

Der Evolution auf der Spur

Auf der ganzen Welt werden Vögel beobachtet. Dabei spielen Hobby-Ornithologen, wie dereinst James Harrison, eine wichtige Rolle, indem sie die Tiere beobachten, sammeln, präparieren und in Typen enteilen. "Um genau feststellen zu können, wann eine Art sich ändert, muss man so viel wie möglich sammeln", sagte der Leiter der Vogelsammlung des NHM, Swen Renner. Am NHM finden sich Bälge - in der Ornithologie eine Bezeichnung für die Haut eines Vogels mit anhängendem Gefieder, Schnabel, Beinen und Füßen - Stopfpräparate, Skelette, Gewebeproben und Nester.

"Bälge, die nicht in der Schausammlung stehen, dienen der Wissenschaft. Wir nehmen ihre DNA, messen die Morphologie und können anhand der Daten feststellen, ob es evolutiv neue Arten gibt. Die Historie der Artenentwicklung lässt sich nur anhand von Sammlungen nachverfolgen, indem man die Exemplare vergleicht", erläuterte Renner mit Blick auf die neun unscheinbar braunen Vögel, die bereits aus England angekommen sind.

Wo bleiben die Paradiesvögel? "Es klingt seltsam, dass man mit Vogelbälgen zum Naturschutz beitragen kann, aber es steckt viel Information in den toten Vögeln", sagte Paul Bates, Direktor des Harrison Institute mit Sitz in Sevenoaks. "Wir Wissenschafter lieben insbesondere die kleinen, braunen Vögel, die 80 Prozent der Population darstellen und daher die meisten genetischen Veränderungen hin zu neuen Arten hervorbringen, insbesondere in isolierten Regionen und Wäldern." Veränderungen in zahlreich vorhandenen Arten ließen ganz präzise erkennen, wie sich Umwelt- und Klimaveränderungen auf die Evolution der Tiere auswirken.

Um der Evolution auf die Spur zu kommen, fangen Ornithologen etwa Tiere, die ihren Artgenossen sehr ähnlich sind, aber doch etwas anders aussehen. Ihnen entnehmen sie Blutproben, die sie mit genetischen Proben, etwa aus Füßen oder Federn eines Balges aus der Sammlung, abgleichen. "Die Vögel kennen sogar eine Mikro-Evolution. Etwa wurde festgestellt, dass Amseln in der Stadt sich innerhalb von zwei oder drei Generationen genetisch anders entwickeln als Amseln auf dem Land", berichtete Renner. Wenn sich die vier Parameter DNA, Morphologie, Gefieder und Gesang bis zu einem Schwellenwert ändern, ließe sich eine andere Art verzeichnen.

Für Institutsdirektor Paul Bates war die Schenkung eine "einfache Entscheidung". Neben der historischen Verbindung und aktuellen Kooperationen nannte er auch das "Commitment des Museums zur Forschung" als Grund. "Wir wollen, dass die Vögel verwendet werden." Für Renner enthält sie viele "kleine und größere Schätze". Ein Beispiel sei der Neotypus des Buchfinken. Die Art sei ursprünglich vom schwedischen Naturforscher Carl von Linné beschrieben worden. Dieser Typus sei aber verloren gegangen und die Neubeschreibung befinde sich in der Harrison-Sammlung.

"Wir schätzen, dass wir rund 8.000 von den insgesamt 12.000 Vogelarten, die es weltweit gibt, hier am NHM haben, darunter auch viele Arten, die in freier Wildbahn schon ausgestorben sind", sagte Renner.