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Wettbewerb unter Waldgiganten: Auch Bäume stehen in Konkurrenz

Von Helena Pichler

Wissen
Harmonie? Das Leben im Wald ist ein ständiger Wettkampf.
© adobe stock / Smileus

Forscher finden keine Beweise für ein "Sozialsystem" unter Bäumen. Weshalb Wälder doch kompetitiver sind, als wir vielleicht dachten.


Das Ökosystem Wald bildet komplexe Gemeinschaften. Längst rankt sich ein ganzer Forschungszweig um die Kommunikation zwischen Pflanzen, sowohl untereinander als auch mit ihrer Umgebung. Eine funktionierende Gemeinschaft fordert allerdings einen ständigen Austausch und ein aktives Miteinander. Und während es unter uns Menschen häufig mit dem Zusammenhalt und der Fürsorge untereinander nicht so klappt, wurden diese Eigenschaften den Wäldern bisher noch nicht abgesprochen.

Die in den 1990er Jahren aufgekommene und seitdem diskutierte "Mutterbaum-Hypothese" geht sogar so weit, eine Art soziales System unter Bäumen zu beschreiben. Demnach würden große, ältere Bäume, Mutterbäume genannt, ihre gewonnenen Energiereserven an kleinere, bedürftige Bäume mittels eines von Pilzen bereitgestellten Netzwerks zukommen lassen. Laut der These haben Mutterbäume aufgrund ihrer Größe Zugang zu ausreichend Sonnenlicht - eine Ressource, die den kleineren Jungbäumen fehlt. "Jausenpakete" eines Mutterbaumes mit Kohlenstoff zum Aufbau von Zucker würden eine etwaige Mangelernährung der Jungbäume ausgleichen. In anderen Worten: Bäume versorgen ihre Kinder. Und mehr: Über die Netzwerkstruktur können auch kranke Individuen Notsignale abfeuern, um Nährstoffe anzufordern, die sie zur Heilung benötigen.

Ernüchternde Beweislage

Die Annahme baut auf der wissenschaftlich nachgewiesenen Tatsache auf, dass Bäume durch fadenförmige Strukturen von symbiotischen Pilzen, den Hyphen, miteinander verbunden sind. Zusammen bilden sie ein unterirdisches Netz, das als Mykorrhiza bezeichnet wird.

Während Bäume tatsächlich über Mykorrhizapilze Nährstoffe austauschen, geht die "Mutterbaum-Hypothese" noch weiter, indem sie Mutterbäume als zentrale Knotenpunkte beschreibt, die sowohl mit jungen Sämlingen als auch mit anderen großen Bäumen in ihrer Umgebung kommunizieren, um deren Überlebenschancen zu erhöhen.

Ein Forschungsteam der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften überprüfte bestehende Studien zur "Mutterbaum-Hypothese" - mit ernüchterndem Ergebnis. Weder die Bäume noch die Pilze sind so altruistisch im Umgang miteinander, wie die These vermuten lässt.

Handelszentren der Natur

Laut den Forschenden ist die Beweislage für ein "botanisches Sozialsystem" dünn. Ob es wirklich zu einem größeren Kohlenstoff-Transfer zwischen erwachsenen und noch wachsenden Bäumen kommt, ist ihnen zufolge ungeklärt. Wenig nachvollziehbar sei etwa, weshalb Pilze als potenzielle Pipelines herhalten sollten, ohne dass das für sie einen offensichtlichen Vorteil ergibt. Auch Beobachtungen der Muster, nach denen sich Wälder in den nördlichen Breiten regenerieren, passen nicht zu den Annahmen der "Mutterbaum-Hypothese", erklärt das Forschungsteam.

Anstelle der bisher angenommenen gerechten Verteilung von Ressourcen deuten die Daten darauf hin, dass die Mykorrhizal-Netzwerke wie "Handelszentren" zwischen Bäumen und Pilzen fungieren. Der Kohlenstoff-Transfer sei ein Resultat eines Handelsaustauschs, in dem die Beteiligten nach dem günstigsten Deal fürs Überleben suchen. Sehr wahrscheinlich ist, dass dies viel eher zu einer Verschärfung des Wettbewerbs unter den Waldgiganten führt, als zu einer Unterstützung der jungen Sämlinge.

"Der Wald ist kein Superorganismus und keine Familie von Bäumen, die einander unterstützen. Es ist ein komplexes Ökosystem mit Bäumen, Pilzen und anderen Organismen, die voneinander abhängig sind, jedoch kein gemeinsames Ziel verfolgen", fasst Studienautor Oskar Franklin zusammen. Es herrscht also, ähnlich wie unter Menschen, mehr Konkurrenzkampf als bedingungslose Zusammenarbeit.