Zum Hauptinhalt springen

Schlängler auf dem Rückzug

Von Roland Knauer

Wissen

Wieso der Europäische Aal, ein beliebter Leckerbissen, zur Mangelware wird.


Berlin. Aale standen schon in der Steinzeit auf der Speisekarte der Menschen in Skandinavien, beweisen Aalskelette in Küchenabfällen dieser Epoche. Bis heute schmeckt der langgestreckte Fisch, dessen Körper ein wenig an eine Schlange erinnert, vielen Menschen zum Beispiel als Räucheraal. Doch das Angebot wird zunehmend knapp, der Europäische Aal zur Mangelware. "Allein in Brandenburg sind die Aalfänge in den letzten 20 Jahren um zwei Drittel eingebrochen", erklärt Uwe Brämick vom Institut für Binnenfischerei in Potsdam. Suchen die Forscher nach Gründen dafür, stoßen sie auf eine ganze Reihe schwieriger Hürden, die der Fisch auf vielen Tausend Kilometer Wanderung überwinden muss.

Das Leben der kleinen Aale beginnt in der Sargassosee östlich von Florida. Ihren Namen hat diese Region von Braunalgen der Gattung Sargassum. "Möglicherweise hängt der Laich der Aale an diesen Algen, aber vielleicht schwimmen die Eier auch frei im Wasser", fasst Brämick die erste Wissenslücke beim Europäischen Aal Anguilla anguilla zusammen. Denn in der Natur hat noch kein Forscher den Laich dieser Art beschrieben. Trotzdem sind die Experten ziemlich sicher, dass die Wiege der kleinen Aale in der Sargassosee steht. "Dort wurden die bisher kleinsten Aal-Larven entdeckt, die nur wenige Millimeter lang und vermutlich erst sehr wenige Tage alt waren", sagt Brämick. Auch über deren Ernährung wissen die Forscher wenig. Darum gelang es bisher auch nicht, den Europäischen Aal im Labor zu züchten. "Sehr wahrscheinlich ernähren sie sich ganz überwiegend von Plankton", meint Brämick.

Die kleinen Aale ähneln bald einem durchsichtigen Weidenblatt und werden daher auch "Weidenblattlarven" genannt. Obwohl sie gute Schwimmer sind, klinken sie sich irgendwann in ihrer Entwicklung in den Golfstrom ein. Bis die Aale in Europa ankommen, sind sie im Durchschnitt drei Jahre alt. Die Weidenblattlarven verwandeln sich jetzt in Glasaale, die bereits den schlangenförmigen Körper ihrer Eltern haben, aber noch durchsichtig sind. "Die Glasaale sammeln sich jetzt in den Flussmündungen Europas, ein Teil der Tiere bleibt an der Küste, der andere Teil beginnt die Flüsse hinauf zu wandern", erklärt Brämick weiter.

Jetzt aber kommt es knüppeldick für die kleinen Glasaale. An Flussmündungen werden viele von ihnen gefangen und vor allem in den Mittelmeerländern als Delikatesse verkauft. Auch dieses Abfischen der Glasaale könnte die Bestände gefährden. Seit 2011 hat die Europäische Union daher den Export von Glasaalen verboten.

Die nächste große Gefahr lauert auf dem Weg flussaufwärts zu flachen und warmen Gewässern mit wenig Strömung, wo die heranwachsenden Tiere etliche Jahre verbringen. Der Weg dorthin ist aber oft mit Wehren verbaut. Für Schiffe gibt es zwar Schleusen, für wandernde Fischarten aber fehlen oft jegliche Aufstiegshilfen.

An den Flüssen fand der Aal einst seinen idealen Lebensraum in Altarmen, die nur noch bei Hochwasser mit dem Hauptlauf des Flusses verbunden sind. Heute sind diese Altarme meist zugeschüttet und verbaut. Finden die Tiere doch irgendeinen Platz zum Bleiben, fressen sie sich dann dort einige Jahre den Bauch voll. Frühestens nach sechs Jahren in ihrer Wahlheimat machen sie sich wieder Richtung Meer auf, viele bleiben aber auch zwanzig Jahre. In den Mittelmeerländern werden die Tiere schneller erwachsen, im kühlen Skandinavien dauert es mindestens dreißig Jahre.

Oft tödlicher Hindernislauf

Wenn zumindest ein Viertel ihres Gewebes aus Fett besteht, brechen die Aale Mitteleuropas zu ihrer letzten großen Reise auf. Immer mit der Strömung geht es Richtung Meer. Wenn ein kleines Wasserkraftwerk im Weg ist, werden die Aale häufig in die Turbinen gezogen. "Vierzig Prozent der Aale überlebt diese Prozedur nicht oder nur schwer verletzt", berichtet Brämick. Nur sehr wenige Aale erreichen nach diesem Hindernislauf die Mündung der Flüsse. Nachts schwimmen sie dann in rund 280 Meter Wassertiefe, tagsüber in etwa 560 Meter Tiefe Richtung Sargassosee, bewiesen dänische Forscher 2009 mit kleinen Sendern, die sie an die Fische geheftet hatten.

Vom Aussterben bedroht

Die Verdauungsorgane haben sich zurückentwickelt, fressen können die Aale nicht mehr, sie schwimmen mit Energie aus ihren Fettvorräten weiter. Das Fett lässt auch ihre Geschlechtsorgane, die am Ende der Reise in der Sargassosee einen großen Teil der Leibeshöhle ausfüllen, wachsen. Dort geht es dann zur Sache, anschließend sterben die völlig ausgezehrten Tiere. Der Nachwuchs aber kommt zurück nach Europa und frisst sich hier Fett für seine eigene letzte Reise an. Wenn er denn die vielen Hürden überwindet. Die meisten Aale schaffen das nicht mehr, das zeigen die seit langem sinkenden Fangzahlen. Der Weltartenschutzverband IUCN führt den Europäischen Aal daher in seinen Roten Listen als vom Aussterben bedrohte Art.