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Der Tod der Sterne

Von Eva Stanzl

Wissen
Seesterne sind Raubtiere. Doch gegen die mysteriöse Seuche haben sie keine Chance.
© corbis/B. Radvaner

Rätselhafte Krankheit befällt Seesterne vor den Küsten Amerikas - mit Auswirkungen auf die Meere.


Seattle/Wien. Zuerst erzählten die Taucher davon. Herden von Seesternen würden vor der Westküste Amerikas zugrunde gehen, berichteten sie vergangenen Oktober. Danach erkrankten auch Seesterne im Meereszoo von Seattle, der sein Wasser aus der Bucht von Puget Sound vor der Hauptstadt des US-Bundesstaats Washington bezieht.

"Unsere Tanks waren einst voll von den Stachelhäutern", sagt Lesanna Lahner, Veterinärmedizinerin des Seattle Aquarium, im Fachmagazin "Science". Nun befällt eine rätselhafte Krankheit, die tödlich verläuft, Seestern-Populationen an beiden US-Küsten. Weiße Läsionen tauchen am ganzen Körper auf. Die Arme erschlaffen und reißen auf, bevor schließlich die Organe austreten. "Schon im November waren drei Arten aus unseren Aquarien verschwunden und 40 Prozent erkrankt", berichtet Lahner. Sie brachte die Patienten in Quarantäne und maß ihren Herzschlag mit Ultraschall. Sie probierte Antibiotika, aber nichts half. Lahner konservierte die Körperteile und schickte sie zur Untersuchung an Pathologen und Genetiker.

"Es ist das umfassendste Sterben der Stachelhäuter", warnt Benjamin Minder von der Western Washington University. Die Seuche befalle mittlerweile schon 20 Seesternarten. Würden sie verloren gehen, würde das Ökosystem der Meere auf den Kopf gestellt. Trotz ihrer schönen, starren Erscheinung, die den Eindruck vermittelt, sie seien gutartig, sind Seesterne kräftige, furchterregende Räuber. Selbst ein kleines Exemplar kann Krebse, Garnelen und Schnecken mit seinen Kraken von Felsen reißen. Um Schalentiere zu knacken, stülpen manche Sterne ihren Magen um und lassen ihn in die Muschel gleiten, um diese zu verdauen. Bei starkem Seegang härten sie sekundenschnell ihre Stachelhaut, um sich zu rüsten. Manche Arten haben 16 Arme und können Fische fangen. Bei wenig Nahrung sterben sie nicht, sondern sie schrumpfen. Gegen die mysteriöse Seuche haben die Seesterne jedoch keine Chance.

Genetische Untersuchungen konnten Pilze, Parasiten und Bakterien als Ursache ausschließen. Viren bei Stachelhäutern sind ein unbeschriebenes Blatt, denn bisher wurden noch keine entdeckt. Sie zu charakterisieren würde Zeit benötigen, und genau die fehlt, da die Patienten sehr schnell sterben. "Es ist ein riesiges Projekt", erklärt Ian Hewson von der Cornell University, der die Krankheit studiert.

Schon zwei geheimnisvolle Seuchen haben Seesternen in der jüngeren Vergangenheit zugesetzt. 1978 erlitten sie ebenfalls weiße Läsionen. Jedoch wurden damals Bakterien auf den Sternen gefunden und warme Ströme im kalifornischen Golf als Ursache für den bakteriellen Ausbruch festgemacht. Als 1997 das Klimaphänomen El Nino den Pazifik erwärmte, begann die Krankheit erneut, allerdings in Südkalifornien. Heute breitet sie von Norden nach Süden aus, jedoch nur kaum vor der Küste des Staates Oregon.

Ein Mosaik von Ursachen

John Engle von der University of Santa Barbara berichtet in "Science" von den Konsequenzen des Sterne-Sterbens von 1997 für das marine Ökosystem. Eine Lieblingsspeise der Stachelhäuter, die Seeigel, seien nämlich so zahlreich geworden, dass die Fische in den Algenwäldern der Ufer keine Nahrung mehr fanden. "Die Seestern-Bevölkerung an der Westküste hat sich nie ganz erholt. Das Ökosystem hat sich verändert", sagt Engel, der das Multi-Agency Rocky Intertidal Network (Marine) zur Überwachung der Populationen leitet. Die Ostküste hat keine vergleichbare Organisation, jedoch gibt es bereits Augenzeugenberichte aus Maine, Connecticut und Massachusetts.

Schon im August wird El Nino wieder den Pazifik erwärmen. Das Klimaphänomen erklärt jedoch kaum, warum die Seuche gerade dann erneut zu grassieren begann, als die Gewässer kühl waren. Die Forscher rätseln, warum die Krankheit so viele Arten von Seesternen befällt, und warum sie sich nun in umgekehrte Richtung ausbreitet. Auch Zugvögel, die sich von Seesternen ernähren, könnten das Pathogen transportieren.