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Von der Erde zum Mond und ins All

Von Eva Stanzl

Wissen
Die Menschheit will zuerst eine Mondbasis errichten und danach den Mars besiedeln.
© Mark Garlick / Getty / Science Photo Library

Am 16. November ist die neue Mondrakete der Nasa ins All gestartet. Mit dem Artemis-Programm soll eine neue Ära der bemannten Raumfahrt beginnen, die die Besiedelung des Alls zum Ziel hat.


Landung in Tempe Mensa, auf der Nordhalbkugel des Mars. Wir schreiben das Jahr 2222. Sechs Monate waren wir in ein Raumschiff gepfercht und jetzt liegt endlich ein weiter Krater vor uns. Aus seinen Steilwänden leuchtet, punktförmig angeordnet, elektrisches Licht, rechts neben dem Lichtpunktmuster ist eine gigantische Solaranlage.

Im Inneren begrüßt ein Herr im Anzug die Neuankömmlinge: "Willkommen in Nüwa", sagt er und lässt zur Erfrischung Tee, Sekt und Brötchen reichen. Beim Schlürfen und Mampfen schweift der Blick durch die neue Heimat. Linien modernster Architektur führen durch gigantische Dimensionen räumlicher Weitläufigkeit. Doch es gibt auch Vertrautes, denn selbst hier, in den Hallen einer künstlichen Biosphäre einer fremden Welt, spenden gigantische Bäume Sauerstoff. Hinter dem Wäldchen geht der Blick ins Freie, wo die Sonne am Mars-Horizont untergeht und die Lichtstimmung an das Tal der Könige erinnert. Vielleicht sind wir doch überall gleich. Willkommen auf dem Roten Planeten. Willkommen in einer neuen Identität.

Alltag auf dem Mars

Der Mann stellt sich als Mitarbeiter der Mars Central University vor und berichtet aus seinem Fachgebiet Raumplanung: Die Stadt sei in die Kraterwände gebaut, um für Menschen gefährliche Strahlung abzuschirmen. Luken ins Freie spenden Tageslicht bei spektakulärem Ausblick, der von den lebensfeindlichen Temperaturen von minus 64 Grad Celsius nichts verrät.

Blick auf den Roten Planeten aus einem Raumschiff: Bis eine Bevölkerung ständig dort wohnt, könnten noch viele Jahrzehnte vergehen.
© conceptcafe / stock.adobe.com

Im Inneren hat es angenehme 21 Grad und der Gastgeber erklärt die Spielregeln für unser neues Leben. Der Städtebund bestehe aus fünf Einheiten. Nahe der Polregion liege die Quelle, hier beziehe man flüssiges Wasser. Weiter im Westen wiederum sei das Bergwerk, hier würden alle nötigen Rohstoffe abgebaut. Die drei Siedlungen im Tempe-Mensa-Krater beherbergen Geschäfts- und Nachtleben, Verwaltung, Services, Sozialeinrichtungen und Wohnraum.

"Wir bauen alle Ressourcen lokal ab, es wird nichts importiert, wir leben selbstversorgend. Sie als Einwohner müssen 0,12 Stadteinheiten pro Jahr beisteuern, damit Nüwa exponentielles Wachstum erzielt", lenkt er seinen Vortrag weiter zu den Modalitäten und zur Besiedelungsgeschichte, die wie eine Erzählung aus dem Wilden Westen beginnt.
In der ersten Errichtungsphase war Nüwa eine Firma mit Zentrale im US-Bundesstaat Arizona. Die neuen Mars-Bewohner waren dort angestellt. Das funktionierte nicht reibungslos. Viele, die ab den späten 2030ern die Erde verließen, waren entweder Outlaws, Draufgänger oder die egomanischen Sprösslinge abgehobener Milliardäre, die ihren weltlichen Pflichten entkommen wollten. Die Mischung vertrug sich nicht ohne weiteres.

In der zweiten Phase – an dieser Stelle bleibt der Erzähler eine Erklärung zum Übergang von Faustrecht auf Recht und Ordnung schuldig – kam die Ökonomie in Gang. Es wurden eine Stadtregierung etabliert und Gesetze beschlossen und eine Universität gebaut. "Heute ist der Mars ein eigener Stadtstaat mit Verfassung, Parlament und Senat. Jetzt geht es nicht mehr um Grundlagen des Überlebens oder um reines Wachstum, sondern um eine Verbesserung der Lebensqualität", sagt er.

Um auf dem Mars zu leben, muss man eine Gebühr entrichten und 50 bis 80 Prozent seiner Arbeitszeit Diensten an der Stadt widmen. Im Gegenzug ist der Transport von der Erde gratis, man bekommt eine Wohnung zum Nulltarif und kann Dienst- und Sozialleistungen nutzen. Jeder Neunankömmling erhält eine Aktie des Städtebundes. Gewinne werden in der Mars-Währung Micro ausgeschüttet. Wer genug Micros beisammen hat, kann sich eine größere Wohnung kaufen, eine Firma gründen, einen Roadtrip mit einem Mars-Rover buchen oder "eines der spektakulären Marsrestaurants" besuchen, wo es Veganes auf Hauben-Niveau gibt.

Ein Zurück gibt es nicht. "Die Übersiedlung von der Erde auf den Roten Planeten ist eine Lebensentscheidung", sagt der akademisch geprüfte Stadtplanungsexperte und geht ab. Einige Neuankömmlinge denken an zu Hause, verwerfen die Gedanken aber gleich wieder, da sie dort alles verkaufen mussten, um die Eintrittsgebühr zu berappen. Ob wir glücklich werden?

Im Hier und Jetzt

Zurück zur Gegenwart und zur Erde und ins Jahr 2022. Was wie ein abendfüllendes Computer- oder auch Brettspiel klingt, ist ein preisgekröntes Konzept. Das Team Sustainable Offworld Network (SONet), bestehend aus Architekten, Ingenieuren, Energieexperten, Raumplanern, Psychologen, Biologen und Raumfahrttechnologen, reihte damit in einem Wettbewerb der Mars Society unter den Top Ten. Die größte gemeinnützige Organisation für die Erforschung und Besiedelung des Roten Planeten hatte um Ideen für einen ersten "Mars City State" gebeten. 176 Projektgruppen aus aller Welt reichten Vorschläge ein. Gewonnen hat das Team Nexus Aurora, dessen Entwürfe sich auf effiziente Mars-Rover beziehen, die bei der Besiedelung des Roten Planeten wohl als erstes gebraucht werden werden.

Doch bevor es so weit ist, dürften noch viele Jahre vergehen, und bis eine Bevölkerung ständig dort wohnt, noch viele Jahrzehnte. "Zwischen der Entwicklung einer Raumstation für sechs Astro-
nautinnen und Astronauten auf einer erdnahen Umlaufbahn, wie der Internationalen Raumstation ISS, und der Millionen-Stadt auf dem fernen Mars gibt es viele wissenschaftliche und technische Unterschiede", konstatiert Gisela Detrell vom
Institut für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart im Internet-Magazin "Astro News". Das von ihr konzipierte Lebenserhaltungssystem für Nüwa soll eine Million Menschen auf dem Mars versorgen.

Pionier Jules Verne

Für einen Eindruck der Dimensionen lohnt ein Blick in die Geschichte. Eines der frühesten Science-Fiction-Werke ist Jules Vernes Roman "Von der Erde zum Mond". Das 1865 erschienene Buch nimmt die Mondfahrt um etwa 100 Jahre vorweg. Nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs versammelt der Kanonenclub in Baltimore aus alter Gewohnheit Spezialisten für Geschütze. Statt einen neuen Krieg anzuzetteln, einigt man sich darauf, mit einer Kanone ein Geschoss von der Erde zum Mond zu schicken.

Eines der frühesten Science-Fiction-Werke ist Jules Vernes Roman "Von der Erde zum Mond". Das 1865 erschienene Buch nimmt die Mondfahrt um etwa 100 Jahre vorweg.
© Stefano Bianchetti / Getty

Der Wettlauf ins All zwischen den USA und der Sowjetunion fand seinen Höhepunkt in der Landung der Amerikaner auf dem Mond am 20. Juli 1969. Astronauten verließen den Mond mit der letzten Apollo-Mission am 14. Dezember 1972. Damals ging man davon aus, dass Mitte der 1980er Jahre der erste bemannte Raumflug zum Mars starten würde. Obwohl dies nicht erfolgt ist, ist heute von Kolonien in Habitaten außerhalb der Erde die Rede.

Grundvoraussetzung ist die bemannte Raumfahrt. Als Beginn der Weltraumkolonisation wird der Betrieb von Raumstationen betrachtet.
Derzeit kreist die bemannte Internationale Raumstation ISS in rund 400 Kilometern Höhe mit einer Bahnneigung von 51,6 Grad in östlicher Richtung binnen 93 Minuten einmal um die Erde. Stammbesatzungen lösen einander ab und führen technische Experimente und Tests zum Leben in der Schwerelosigkeit durch, Verpflegung wird von der Erde geliefert.

Folgt man den Etappen der All-Besiedelung, steht die Menschheit auf Stufe 1: Wir können mit großem technischen Aufwand außerhalb der Erdatmosphäre in einer Entfernung von einigen Lichtsekunden überleben. Stufe 2 wäre der Schritt ins innere Sonnensystem in einer Entfernung von Lichtminuten und Schritt 3 das einige Lichtstunden distante äußere Sonnensystem. Etappenziel 4 würde uns Lichtjahre weiter in die Milchstraße führen und die finale Stufe 5 schließlich in andere Galaxien, allerdings fehlen hierzu die technischen Mittel.

Hochfliegende Pläne

Im Jänner 2004 veröffentlichte US-Präsident George W. Bush seine Raumfahrtpläne mit dem Ziel, 2020 wieder auf dem Mond zu landen. Die Vision laut Nasa-Administrator Michael Griffin: "Auf lange Sicht wird eine planetengebundene Spezies nicht überleben. Wenn der Mensch hunderttausende oder Millionen Jahre überdauern will, müssen wir andere Planeten besiedeln."

Anfang 2010 stellte Präsident Barack Obama wiederum andere Pläne für einen bemannten Marsflug bis 2025 und einen bemannten Asteroidenflug bis 2030 vor. Und jetzt, am 16. November unter der Regentschaft von Präsident Joe Biden, ist ganz konkret die Nasa-Mission Artemis ins All gestartet. Beim ersten Flug, Artemis I, soll getestet werden, ob die Rakete und die Kapsel in der Lage sind, Menschen sicher zu transportieren und wissenschaftliche Experimente durchzuführen. Artemis II soll mit einer vierköpfigen Crew den Mond umrunden. Mit Artemis III sollen schließlich wieder Menschen auf dem Mond landen, unter ihnen die erste Frau.

Neben den USA verfolgt China das Ziel einer bemannten Mondlandung ab 2030 und die ESA will einen Europäer bis 2040 zum Mars bringen. Allerdings ist bei allen Projekten fraglich, wie die Meilensteine zeitgerecht und mit vorhandenen finanziellen Mitteln erreicht werden können, zumal die technischen Herausforderungen und gesundheitlichen Risiken riesig sind.

Wie Leben möglich wäre

Wie sich Leben in einer lebensfeindlichen Umgebung verhält, ist Gegenstand zahlreicher Experimente. Mit dem "Wiener Journal" ist Tobias Niederwieser von seinem Arbeitsplatz an der University of Colorado in Boulder per Zoom verbunden. Zur täglichen Arbeit des aus Tirol gebürtigen Astronomen gehört es, über das Kontrollzentrum seiner Universität mit der ISS zu kommunizieren und biologische Experimente auf der Raumstation zu steuern. "Es geht um Pflanzen- und Zellwachstum in Inkubatoren in der Schwerelosigkeit", sagt er, und fügt hinzu: "Bald werden wir auch Strahlenforschung im All machen. Ein Mini-Labor mit Hefezellen fliegt mit der Artemis-Rakete der Nasa zum Mond. Es durchschreitet die Magnetosphäre der Erde, die als Schutzschild gegen kosmische Strahlung wirkt, und wir wollen sehen, wie die Strahlung die DNA von Hefen verändert", erklärt Niederwieser. Da der Mensch 70 Prozent seiner DNA mit der Hefe teile, ließen sich daraus Erkenntnisse zu den Überlebenschancen für Menschen im All gewinnen.

Nur mit Lebenserhaltungssystemen könnten Menschen auf dem Mars wohnen.
© supamotion / stock.adobe.com

Bei einer Reise zum Mars, die mit Hin- und Rückflug inklusive Aufenthalt auf dem Planeten rund zweieinhalb Jahre in Anspruch nehmen würde, wäre die Strahlendosis ohne Schutz tödlich. Noch mangelt es an Systemen, die ein Raumschiff abschirmen können und leicht genug sind. Auch eine künstliche Schwerkraft, die die Besatzung aufrecht durch Raumschiffe gehen lässt, gibt es noch nicht. Als erwiesen gilt, dass längere Aufenthalte in der Schwerelosigkeit die Knochenstruktur irreparabel schädigen können. Keine Erfahrungswerte gibt es, wie die Körper älterer Menschen damit zurechtkommen.

Indes fliegen Entrepreneure ins All. Amazon-Gründer Jeff Bezos hat zuletzt im August sechs zahlungskräftige Personen auf einen Kurztrip in eine Höhe von 100 Kilometern über der Erde geschickt. Und auch die ISS wird von Touristen besucht. Ein Flug kostet nach Angaben des auf Weltraum-Tourismus spezialisieren US-Unternehmens "Space Adventures" um die 50 Millionen Euro, private Raumschiffe, wie jene von Tesla-Gründer Elon Musk, kurbeln das Angebot für Milliardäre an.

Ob Mars-Städte wie Nüwa je umgesetzt werden können, steht in den Sternen. Viel Pionierarbeit muss geleistet werden. Ein Team der ESA steht in knallgrünen T-Shirts und gelben Helmen auf einem Kraterhang auf der kanarischen Insel Lanzarote, die, so wie Teile des Mars, aus Lavagestein besteht. Sie haben sich zum Geo-Training getroffen. Jüngere Erdschichten liegen oberhalb älterer, die Forschenden sammeln Bodenproben und kleines Gestein oder messen die Erdstrahlung. Das "Pangaea-Training" der Europäischen Raumfahrtagentur bereitet Astronauten und Ingenieure auf künftige Bodeneinsätze auf Mond, Mars und Asteroiden vor.

Hoffnung Weltall

"Der Weltraum und auch der Mond werden der nächste Wirtschaftsraum werden", stellte ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher kürzlich im Interview mit der "Wiener Zeitung" in Aussicht. "Vor 500 Jahren ist Christoph Kolumbus losgesegelt und hat einen neuen Kontinent entdeckt. Das führte dazu, dass Europa als geopolitisches Zentrum Wohlstand und Sicherheit aufbauen konnte. Heute tun sich im Weltraum neue Möglichkeiten auf, etwa indem wir Bodenschätze abbauen, und Österreich hat viel Kapazität, sich zu beteiligen."

Schon jetzt leben ganze Wirtschaftszweige mit Unternehmenszwecken und Forschungsparks von der Raumfahrttechnologie. Asteroiden in Erdnähe, die Eisen, Nickel, Kobalt, Gold und Platin-Metalle in weitaus höherer Konzentration als auf der Erdoberfläche enthalten, könnten dieser Sparte noch nie dagewesenen Anschub geben. "Unser kleiner Planet befindet sich in einem riesigen Meer aus Rohstoffen", sagt John Lewis, emeritierter Professor an der Universität Arizona, in einem Interview mit dem "Deutschlandfunk". Er forscht seit langem daran, die Idee vom Bergbau im Weltall Wirklichkeit werden zu lassen. "Es ist an der Zeit, dass jemand die Chance ergreift", sagt er, und meint Bergbau-Roboter, die an Asteroiden andocken, ihre Rohstoffe abbauen und diese gleich zu Bauteilen machen.

Das Weltall gehört niemandem. Niemand darf kosmische Grundstücke käuflich erwerben oder besitzen. Bevor wir beginnen, Eigentumsrechte zu klären, lohnt es vielleicht, sich zu fragen, ob es den Aufwand wert ist. Es könnte einfacher sein, mit dem eigenen Planeten auszukommen und ihn zu schützen. Denn er ist der einzige lebensfreundliche Himmelskörper im Sonnensystem.