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Renaissance-Menschen der Technik

Von Eva Stanzl

Wissen

Massenspektrometer für die Hosentasche, Injektionen ohne Nadel.


"Wiener Zeitung": Sie haben Ihre erste Firma im Alter von neun Jahren gegründet und mit zehn veröffentlichten Sie Ihre erste wissenschaftliche Arbeit. Sind Sie quasi zum Erfinder geboren?Ian Hunter: Mein Vater war Erfinder und Ingenieur. Er ermutigte uns Kinder dazu, Dinge zu erfinden - schon früh entwickelte ich eine Leidenschaft für Chemie und Elektronik. Um mir diese Hobbys leisten zu können, begann ich, Einzel-Transistorradios aus Seifenschachteln zu bauen, um sie meinen Klassenkameraden zu verkaufen. Eines Tages nahm ich eines dieser Radios bei einem Freund zu Hause in Betrieb. Seine Mutter, eine Geschäftsfrau, fragte mich: "Wie viel verdienst du daran?" Ich wusste nicht, was sie meinte, doch sie fragte weiter: "Wie viel haben die Teile gekostet?" Ich sagte es ihr, und sie erklärte: "Das ja genau so viel, wie du verlangst. Du musst mehr verlangen wegen der Zeit, die du hineingesteckt hast. Deine Zeit ist Geld wert", sagte sie und gab mir drei Mal so viel, wie ich verlangt hätte. Das war meine erste Lektion im Geschäfte machen.

Sie haben auf der Basis Ihrer Erfindungen 22 Firmen gegründet und halten 120 Patente. Sind Sie nun ein reicher Mann?

Ja, es geht mir gut - ich bin gerne diskret. Wir Neuseeländer haben eine "can do"-Einstellung, das ist ganz gut.

Als Professor für Maschinenbauwesen am MIT befassen Sie sich mit mehreren Forschungsdisziplinen. Was entsteht in Ihrem Labor?

In unserem Labor folgen wir einer Philosophie namens "Bommec", und das steht für Biologie, Optik, Mathematik, Mechanik, Elektronik, Chemie. Unsere meisten Projekte vereinen diese sechs Felder. Wer bei uns studieren will, muss in mindestens drei Bereichen qualifiziert sein und dann die anderen im Labor lernen. Wir marschieren durch die Disziplinen, um Lösungen zu Problemen zu finden. Ich schätze unser spezialisiertes Bildungssystem, das eingeschränkt ausgebildete Leute hervorbringt, wenig. Neben Spezialisten brauchen wir nämlich Renaissance-Menschen der Technologie, die in einem breiten Spektrum an Disziplinen zu Hause sind.

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Ian Hunter.
© Foto: MIT

Was ist ein typisches Problem, das Sie lösen wollen?Nehmen wir das Massenspektrometer (es kann Atome messen, etwa zur Charakterisierung chemischer Verbindungen oder Identifizierung von Substanzen im Körper, Anm.). Normalerweise sind diese Geräte sehr groß und kosten zwischen 100.000 und einer Million Dollar, zudem muss für eine Analyse die Probe zum Gerät gebracht werden. Wir haben uns die 20 Sub-Systeme angesehen, die das Gerät ausmachen, und sie neu erfunden. Herausgekommen ist ein starkes Massenspektrometer, das in die Hosentasche passt und in der Erzeugung nur 100 Dollar kostet. Damit können Konsumenten im Supermarkt untersuchen, ob Fleisch Hormone enthält, Obst tatsächlich frisch oder Gemüse voller Pestizide ist. Weiters finden Mediziner Spuren möglicher Erkrankungen im Molekulargehalt Ihres Atems. Unser Gerät kann nämlich fast alles messen, was riechbar ist: feinen Wein, eine gute Tasse Kaffee, Blumen oder Parfum, ebenso wie die Luftqualität.

Wir wollten Menschen die Möglichkeit geben, ihre Umgebung zu messen, anstatt sich auf Experten verlassen zu müssen. Viele Menschen haben genug davon, belogen zu werden, und wollen die Dinge selbst überprüfen. Wenn man sich etwa eine neue Wohnung anschaut und der Immobilienmakler behauptet, dass die Wandfarbe kein Blei enthält oder die Räume asbestfrei sind, kann man es nachprüfen.

Wann soll es denn erhältlich sein?

Wir haben soeben ein Unternehmen zur Kommerzialisierung gegründet und geben es Freunden zum Testen - in diesem Fall sind das Menschen, die bereits ein Massenspektrometer bedienen können. Ab 2014 sollen die Geräte erhältlich sein.

Wer bezahlt die Entwicklungskosten für diese Dinge?

Jeder MIT-Professor lukriert seine eigenen Projektgelder, das Basisbudget deckt nur Räumlichkeiten und Personal ab. Projekte mit offensichtlichem Stellenwert finden leichter Unterstützung: Etwa haben wir eine Technologie entwickelt, mit der man Arzneien ohne Nadel in den Körper injizieren kann. Wir schießen Medikamente mit Schallgeschwindigkeit durch einen winzigen Jet vom Durchmesser eines Haars, sodass sie sofort zum Gewebe durchdringen - etwa durch das Auge direkt zur Retina. Viele Menschen lehnen nämlich Nadeln ab, und mit dem Jet spüren sie keinen Stich. Die Pharmafirma Sanofi ist jüngst hier eingestiegen. Für das Massenspektrometer war es schwieriger, Geld zu bekommen. Dass ein Instrument 100 Mal billiger wird, glaubt einem kaum jemand, außerdem wollen sie vielleicht gar nicht, dass etwas billiger wird. Wir legen daher Gelder zur Seite von leicht finanzierbaren Projekten für Hochrisikoforschung. Auch manche Spenden und Teile von Forschungsstipendien führen wir in Risiko-Projekte über.

Wie viele Jahre forschen Sie an diesen Projekten?

Es ist, wie wenn man einen guten Wein keltert: Zuerst kommen die Trauben, dann werden sie gepresst, dann reift der Wein. Ähnlich muss man die Technologie erfinden, experimentieren, neu erfinden, mehr experimentieren und nach und nach verfeinert man die Erfindung. Für die Injektionen ohne Nadel waren es zwölf Jahre Entwicklungszeit, für das Massenspektrometer sieben. Diese Dinge benötigen viele Ressourcen und sind schwierig, aber sie sind es wert, denn sie können die Art und Weise, wie wir Dinge tun, radikal verändern. Die Kultur des MIT unterscheidet sich in diesem Sinn stark von jener anderer Universitäten. Es ist eine Kultur zu forschen, zu erfinden und neue Dinge zu kreieren, um sich danach an die Industrie zu wenden. Schon wenige Wochen nach ihrer Ankunft beginnen neue Studenten, unternehmerisch zu denken. Alle vier bis sechs Stunden wird von MIT-Absolventen eine neue Firma gegründet, derzeit sind es 26.000 Unternehmen mit einem Jahresumsatz von insgesamt 2,1 Trillionen US-Dollar. Dabei sind wir mit nur 1000 Professoren und 10.000 Studierenden für US-Verhältnisse eher klein.

Was braucht Ihrer Meinung nach die Welt als Nächstes?

Wir müssen die Art und Weise, wie wir uns und unsere Dinge von A nach B bewegen, radikal verändern und davon absehen, Öl als Energiequelle für Transport zu benutzen. Die meisten Autos verbrauchen 100 Mal mehr Energie, als nötig wäre, wir benötigen daher eine neue Antriebstechnik. In der Natur bewegen Muskeln Tiere und im Ingenieurswesen würden wir dringend etwas benötigen, das so ist wie Muskeln. Zudem haben wir kein technologisches Äquivalent zu ATP (Adenosintriphosphat ist der universelle und unmittelbar verfügbare Energieträger in jeder Zelle). Was wir aber haben, ist Computertechnologie und Informationsverarbeitung sowie die Fähigkeit, alles zu modellieren. All das werden wir brauchen, um den Transport zu transformieren. Eine Lösung wird viel Kreativität erfordern.

Zur Person
Ian Hunter, geboren in Auckland, Neuseeland, ist Professor für Maschinebauwesen in der Bio Instrumentation Lab am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Er studierte an der Universität Auckland und an der McGill University in Kanada und hält 120 Patente. Am 22. Mai 2013  präsentiert er seine Technologie bei der "MIT Europe Conference" in Wien.