Zum Hauptinhalt springen

Mit Philae ist nicht mehr zu rechnen

Von Eva Stanzl

Wissen

Täglich schrumpfen die Chancen auf ein Signal des Kometenlanders. Projektleiter Stephan Ulamec über die Lehren aus der Mission.


Wien. Im November 2014 landete erstmals ein von Menschen gemachtes Gerät auf einem Kometen. Ungeplanterweise kam Philae, der Lander der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, auf dem Kometen Tschurjumow-Gerasimenko aber im Schatten zu stehen. Da die Sonnenpaneele dort zu wenig Licht erhielten, konnte er nur 60 Stunden arbeiten. Seit Monaten schickt Philae kein Signal mehr zur Erde. Stephan Ulamec, Leiter der Landemission beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, analysiert, was schiefgegangen ist und was geklappt hat.

"Wiener Zeitung": Wie klein sind die Chancen, dass sich Philae noch einmal meldet?

Stephan Ulamec: Sie sind heute sehr klein und schrumpfen täglich. Der Komet fliegt von der Sonne weg, das bedeutet weniger Licht und sinkende Temperaturen für Philae. Nach Ende Jänner werden wir wahrscheinlich nie wieder etwas von ihm hören.

Am Sonntag haben Sie einen Kontaktversuch gemacht.Er war erfolglos, wird es wirklich der letzte sein?

Es war ein letzter Versuch, den Lander zu rütteln. Wir schickten ihm den Befehl, sein Schwungrad zu bewegen, um ihn aus seiner Höhle herauszukatapultieren. Das Risiko war, dass er dabei falsch aufkommt, deswegen haben wir uns dieses Manöver als letzte Chance aufgehoben - davor haben wir viele andere, vorsichtigere Anstrengungen unternommen. Noch eine Schwungrad-Aktivierung werden wir nicht durchführen, denn warum sollte das Signal bei schlechteren Bedingungen kommen?

Werden Sie Philae ab Ende dieses Monats aufgeben?

Der Empfänger auf dem Orbiter Rosetta bleibt an und wir achten auf etwaige Signale. Wenn Philae sich meldet, wissen wir es sofort, aber wir rechnen nicht damit.

Warum haben Sie am 9. Juli Signale empfangen und am 10. Juli nicht?

Es genügt, wenn nur ein wichtiger Teil des Landers schadhaft ist. Die Daten vom Sommer deuten darauf hin, dass der Transmitter einen Wackelkontakt hat, weil er immer wieder länger nichts tat und dann doch Signale schickte. Eine weitere Möglichkeit ist, dass der Zentralcomputer defekt ist. Die sehr kalte Periode von November bis Sommer 2014 könnte die Elektronik beschädigt haben - man nennt das Thermal Stress. Dabei dehnen sich Kupferbahnen und Leiterplatten unterschiedlich aus und manche Bauteile gehen kaputt. Außerdem ist der Komet seit Juli besonders aktiv, möglicherweise schleudert er Staub auf den Lander. Mit Staub bedeckte Solarzellen können kein Licht empfangen und keinen Strom erzeugen.

Zum Wert für die Wissenschaft: Welche Ergebnisse hat Philae geliefert?

Die Lander-Kameras haben hochauflösende Bilder gemacht, die viel über die Feinstruktur der Kometenoberfläche verraten. Die Bilder zeigen nicht wie erwartet Fels- und Staubschichten, sondern poröses Eis mit organischen Strukturen. Wir haben den Kometen durchleuchtet und ein Schnittbild gemacht: Tschuri besteht aus Material, das zu 70 bis 80 Prozent porös ist. Weiters haben wir in chemischen Analysen präbiotische Moleküle nachgewiesen - eine Voraussetzung für Leben wie auf der Erde. Diese Daten beschäftigen uns bei der Erforschung der Ursprünge des Lebens.

Welche Erkenntnisse hat der Funkkontakt im Sommer gebracht?

Es waren in erster Linie Daten zum Zustand des Landers - dass er an ist, wann die Sonne auf- und untergeht, welche Temperatur es hat. Normalerweise sollten Forschungskommandos folgen, aber für eine Zwei-Weg-Kommunikation war der Kontakt zu sporadisch. Handfeste Wissenschaft betrieb Philae somit nur in den ersten 60 Stunden nach der Landung.

Sind Sie traurig, dass der Lander zu wenig auftrumpfen konnte?

Er konnte ja auftrumpfen, wir haben viele Erkenntnisse gewonnen. Man sollte sich freuen über das, was man erreicht hat. Auch dass der Lander verschwinden würde, war klar. An seinem ursprünglichen Landeplatz wäre Philae schon im April oder Mai 2014 verglüht.

Wie weit ist der Komet derzeit von der Sonne entfernt?

Der Komet umkreist die Sonne im Abstand von 381 Millionen Kilometern und ist 520 Millionen Kilometer von der Erde entfernt.

Welche Aufgaben hat die Muttersonde Rosetta nun vor sich?

Im Juli oder August wird Rosetta wenige Kilometer über dem Kometen kreisen. Wir hoffen, Bilder zu erhalten, die den Lander und seine Position in guter Auflösung zeigen. Ende September werden wir Rosetta auf dem Kometen crashen lassen. Die Sonde soll sich bis zur Distanz null herunterlassen und in ihren letzten Tagen hochauflösende Bilder und Details zu Gas-Zusammensetzung liefern sowie Staubteilchen in Nanometer-Auflösung analysieren.

Was lernen Sie aus der Mission?

Philaes Lande-Harpune hätte besser konstruiert sein können, damit er sich wie geplant sofort im Boden verankert. Im Unterschied zum Planungszeitpunkt 1994 hätten wir da heute bessere technische Möglichkeiten. Das flexible Design des Landers hat sich dagegen bewährt - dadurch konnte er trotz seiner holprigen Landung messen. Die Erkenntnis, dass Kometen eisig-hart sind, ist wichtig für eine neue Mission, die wir mit der Nasa andenken. Wenn sie genehmigt wird, könnten wir ab 2020 ins All starten, um Kometenmaterial zur Erde zu bringen.

Stephan Ulamec leitete die weltweit erste Kometenlandung im Rahmen der Rosetta-Mission. Der Salzburger ist am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Darmstadt tätig.