Zum Hauptinhalt springen

Trial or Error - Zur Legistik der Covid-19-Verordnungen

Von Klaus Christian Vögl

Recht

Nach dem ersten Lockdown ging es mit diversen Lockerungs-Verordnungen weiter: Eine kritische Bestandsaufnahme.


Seit März 2020 haben wir nunmehr an die 20 verschiedene Covid 19-Verordnungen erlebt. Dabei ging es nach dem Lockdown I mit diversen Lockerungs-Verordnungen (V) weiter, die – mit steigenden Infektionszahlen - übergingen in MaßnahmenV über SchutzmaßnahmenV bis hin zu NotV (Lockdown II); allein schon die unterschiedlichen Bezeichnungen bringen Spannung ins Spiel. Wie wird sich wohl die nächste Verordnung nennen? In der Welt der Wettbüros (übrigens ebenfalls von den Verordnungen massiv betroffen) wäre das eine Gesellschaftswette. Einen näheren Blick wollen wir auf die derzeitige 2. SchutzmaßnahmenV werfen.

In der Sache ist es keine Frage, dass der Gesundheitsminister legistisch auf die Pandemiesituation zu reagieren hatte. Es soll hier auch nicht hinterfragt werden, ob die Verordnungen wirklich in so schneller Folge wechseln mussten: Einmal, im Sommer, gab es zwei Novellen an zwei Tagen hintereinander, dann, im Spätherbst – beinahe hätte man schon gedacht, das wäre nicht zu toppen gewesen - zwei Novellen an einem Abend. Wobei eine solche Abfolge am "Normalverbraucher" ohnedies vorbeigeht, denn der wird durch häufige Pressekonferenzen (zum Teil mehrmals an einem Tag) sowie durch die Medien informiert, die einerseits stets vorab Informationen erhalten und andererseits dann wiedergeben, was in der PK aus Politikermund fließt.

Dass in den Verordnungstexten vielfach durchaus anderes stand, das interessierte die breite Öffentlichkeit eher nicht mehr (wer liest schon freiwillig Verordnungen?). So waren zum Beispiel die wochenlang kolportierten Maximal-Personengrenzen am Tisch in der Gastronomie eine reine, wenn auch populäre Erzählung ohne legistischen Hintergrund (die Verordnung deckelte nur die Besuchergruppen beim Einlass). Aber auch offizielle Portale wie www.sichere-gastfreundschaft.at, gemeinsam betrieben von Tourismusministerium und WKO, entpuppten sich mehrmals als Gerüchtestreuer. So war dort, als kurzzeitig verpflichtende Präventionskonzepte auch für die Gastronomie bei mehr als 50 Verabreichungsplätzen eingeführt wurden, zu lesen; "vorher: ab 200", wobei das "Vorher" eine Chimäre war.

Was sich gut bewährt hat

Nun, am Ende des ersten Corona-Jahres, ist Zeit, die Bemühungen des Verordnungsgebers kritisch Revue passieren zu lassen.

Gut bewährt hat sich die Einführung zahlreicher variabler Stellschrauben, an denen gedreht werden kann, wie:

- Der grundlegende Ein-Meter-Abstand

- Der Mund-Nasen-Schutz (MNS)

- Die Limitierung von Personenzahlen, vor allem bei Veranstaltungen

- Die Einführung verpflichtender Covid 19-Präventionskonzepte mit definiertem Mindestinhalt und von Covid 19-Beauftragten in den Bereichen Veranstaltungen, künstlerische Proben, Sport, Messen, zuletzt auch Gastronomie und Handel (Shopping-Zentren)

- Die gesundheitsrechtliche Bewilligungspflicht von Veranstaltungen und Messen

- Die Zehn-Quadratmeter-Regel in Geschäften

- Die Schaffung von Möglichkeiten zur Datennachverfolgung ("contact tracing")

- Vom Grundgedanken her: Gästeregistrierung

- Der grundgelegte Grundsatz "Beraten statt Strafen"

Wo legistische Optimierungen wünschenswert wären

Gleich hier kann aber auch bereits Kritik einsetzen. Einige Schwerpunkte, wo man sich legistische Optimierungen wünschen kann:

- Den Verordnungen vorangestellt werden sollte ein § 1 mit Begriffsdefinitionen. Das wäre aus zwei Gründen wünschenswert: Zum einen definieren die Verordnungen grundlegendste Prämissen nicht, wie zum Beispiel, wie der Ein-Meter-Abstand zu messen ist, oder was unter einer "Besuchergruppe" zu verstehen ist, zum anderen ließen sich dadurch die vielen lähmenden textlichen Redundanzen vermeiden, wie die Erkenntnis, dass der MNS "eng anliegen muss", mit der uns die Verordnungen dutzende Male wiederholt erhellen.

- Der Verordnungsgeber sollte sich endlich am rechtsstaatlichen Grundsatz der "Einheitlichkeit der Rechtsordnung" orientieren, aus dem eine einheitliche Rechtssprache folgt. Es geht nicht an, dass ein zentraler Begriff wie jener der "Veranstaltung", der in neun Landesgesetzen einhellig definiert ist, im Gesundheitswesen in diffuser und nicht nachvollziehbarer Weise neu erfunden wird, was zu unerträglichen "Schlussfolgerungen" des Verordnungsgebers führt: etwa, dass Reisende in einem Autobus eine "Veranstaltung" darstellen, ebenso ein Sportlehrer, der mit fünf Kunden gemeinsam trainiert, ebenso wie Unternehmer, die einfach ihre (anderswo geregelten) Berufe ausüben, wie Fremdenführer (reglementiertes Gewerbe), Tanzschulen (Spezial-Landesgesetz) oder Fitnesscenter (freies Anmeldegewerbe). Mit einem solchen Missgriff erreicht man unter anderem, dass im Falle von Interaktionen, die mangels Darbietung und Publikum keine Veranstaltungen darstellen, wie etwa bei einem gemeinsamen Lauf von Sportbegeisterten, die aktiv Mitwirkenden als "Besucher" interpretiert werden, um den Tatbestand in die Veranstaltungs-Rechtsfolgen (Besucherobergrenzen) pressen zu können. Auch die Messe ist ebenso wie der Markt keine Veranstaltung, sondern in der GewO geregeltes Gewerbe!

- An anderer Stelle formulieren die Verordnungen wieder zu eng, etwa im Falle der Verabreichung von Speisen und Getränken, wo jeweils auf "alle Betriebsarten des Gastgewerbes" Bezug genommen wird. Gibt es denn im Gesundheitsministerium keinen juristischen Berater, der darauf hinweisen würde, dass auch andere Berufe ausschenken und verabreichen dürfen, die nicht Gastgewerbe sind, wie etwa Bäcker, Fleischhauer, Konditoren oder die Buschenschank als landwirtschaftlicher Nebenbetrieb? Die wären alle von den Covid-Verordnungen eigentlich nicht betroffen und könnten offenhalten. Eine bessere Formulierung könnte das richten.

- Teilweise formuliert der Verordnungsgeber, allerdings auf Grundlage der Gesetze, bemerkenswert unbeholfen: Wäre es nicht viel verständlicher und einfacher, einfach vom "Verweilen" an bestimmten Orten zu sprechen, als vom viel engeren Begriff "Betreten", um dann umständlich definieren zu müssen, dass darunter das "Verweilen" gemeint ist? Oder bei den Personengrenzen für Veranstaltungen klipp und klar von "Besuchern" zu sprechen, ohne in einem eigenen Absatz wortreich darlegen zu müssen, dass unter den "Personen" nicht jene gemeint sind, die zum Zustandekommen der Veranstaltung notwendig sind, was im Übrigen per se irreführend ist (da Besucher ein konstitutives Element jeder echten Veranstaltung darstellen).

Begriffe klar verständlich definieren

- Man sollte entweder aufhören, mit unoperablen Begriffen wie "Kulturbetrieben" oder "Freizeitbetrieben" zu arbeiten oder aber diese klar verständlich definieren (siehe oben). In der Tat ist die Abgrenzung der beiden Begriffe von einander und ihrerseits zur "Veranstaltung" nicht konzise. Kinos und Theater etwa, Prototypen des Veranstaltungswesens, waren in den Verordnungen monatelang als "Veranstaltung" eingereiht, dann zuletzt plötzlich als "Freizeitbetriebe" und nunmehr als "Kulturbetriebe". Was beabsichtigt der Verordnungsgeber mit solch einer babylonischen Sprachverwirrung? Übrigens bei der Österreichischen Nationalbibliothek war man zuletzt nicht gerade glücklich darüber, als "Freizeitbetrieb" gereiht zu werden. Kleiner Trost: Auch Laufhäuser zählen für den Gesundheitsminister zu den "Freizeitbetrieben", das wird Tanzschulen, den Wiener Prater oder Fremdenführer freuen. Bitte daher: Die Kategorien eindeutig und nachvollziehbar voneinander abgrenzen und dabei dann bleiben.

- Ein Highlight einer in mehrerlei Hinsicht verfehlten Anordnung stellte schließlich die Auflage bei "Veranstaltungen mit geschlossenem Besucherkreis" dar, wonach der Veranstalter seinem Location-Vermieter die Namen (und Daten?) seiner Besucher hätte bekanntgeben müssen. Datenschutz? Wettbewerbsrecht? (Das können ja Konkurrenten am Markt sein!)

- Hinsichtlich der vorgeschriebenen Präventionskonzepte und der Covid 19-Beauftragten wäre einiges zu konkretisieren, etwa im Hinblick auf wünschenswerte Berufsqualifikationen oder eine Abgrenzung der Verantwortlichkeit.

Eine Frage der Verhältnismäßigkeit

- Manche der Auflagen wirken nicht verhältnismäßig. So benötigten selbst sehr kleine Veranstaltungen (zuletzt schon bei mehr als 100 Besuchern) oder künstlerische Proben Covid-Konzept und Beauftragten, für die Shopping-Zentren wird ersteres erst jetzt eingeführt (gut!), aber kein Covid 19-Beauftragter verlangt – weshalb nicht? Desgleichen ist bei Großgastronomie schwer einzusehen, warum es da keinen Beauftragten geben muss (nur ein Konzept; zuletzt).

- Manche Vorschriften sind schlicht unverständlich. Wenn schon das Bordrestaurant im Zug geöffnet haben darf: warum dann bitte nur bis 19 Uhr? Im 20-Uhr-Zug müssen wir "trocken" fahren? Ist da das Infektionsrisiko höher als im 17-Uhr-Zug?

- Wenn wieder gelockert wird: Bitte regeln Sie die Kongresse in einem eigenen Paragraf analog den Messen und ermöglichen Sie ein Wieder-Hochfahren unter strengsten Kautelen.

- Eine spezielle Bitte geht zum Abschluss noch an das Corona-Auskunftsteam des Ministeriums: Bitte hören Sie damit auf, in Ihre FAQs scheinbar unumstößliche Wahrheiten zu stellen, die in der Verordnung keine Deckung finden. Dazu ein Stehsatz von April bis Oktober: "Hochzeitsfeiern sind Veranstaltungen ohne zugewiesene und gekennzeichnete Sitzplätze." Sagt wer? Die Verordnung nicht. Trauen Sie es Veranstaltern (Brautpaaren) und ihren Wedding Plannerinnen doch bitte zu, auch eine Hochzeitsfeier korrekt "corona-like" auszurichten.

Lesetipp: Stets aktualisiert, weil als E-Book:
"Veranstaltungen unter Covid 19", webshop.wko.at/va-covid19.html