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Erste Entscheidungen zur Mietzinsreduktion

Von Johannes Helm

Recht

Das Bezirksgericht Meidling hat als erstes Gericht zu einem Friseursalon und einem Bekleidungsgeschäft ausgesprochen (rechtskräftig), dass die jeweiligen Geschäftsraummieter im Zeitraum des ersten Covid-19-Lockdowns keinen Mietzins zu bezahlen haben.


Im Zuge des Covid-19-Lockdowns ab Mitte März des Vorjahres mussten erstmals zahlreiche Geschäfte schließen. Gemäß § 1104 ABGB hat der Bestandnehmer keinen Mietzins zu bezahlen, wenn die in Bestand genommene Sache wegen außerordentlicher Zufälle, wie zum Beispiel Feuer, Krieg oder Seuche, gar nicht gebraucht werden kann. Unter einem solchen außerordentlichen Zufall wird in der Rechtsprechung ein Elementarereignis verstanden, das einen größeren Personenkreis massiv betrifft und von Menschen nicht beherrschbar ist, sodass für dessen Folgen im Allgemeinen von niemandem aufgrund genereller gesetzlicher Regeln Ersatz erwartet wird.

Ist das Bestandobjekt trotz eines außerordentlichen Zufalls teilweise brauchbar, gebührt dem Geschäftsraummieter (anderes gilt für Pachtverhältnisse) nach § 1105 Satz 1 ABGB eine verhältnismäßige Mietzinsminderung.

Vereinzelt wird im Schrifttum bestritten, dass die Covid-19-Pandemie ein Anwendungsfall des § 1104 ABGB ist; nach dieser Meinung handle es sich vielmehr um einen Fall des § 1107 ABGB, der in das allgemeine Lebensrisiko des Mieters falle. Noch umstrittener ist, ob und wann trotz der Covid-19 bedingten Einschränkungen eine teilweise Brauchbarkeit des Bestandobjekts gegeben ist, zum Beispiel, weil dieses auch als Lager oder Büro verwendet wird, weil die Auslage zur Werbung dient, oder weil der Mieter im Bestandobjekt einen Online-Shop betreibt.

Covid-19-Pandemie als Seuche

Das Bezirksgericht Meidling hat kürzlich als erstes Gericht zu einem Friseursalon (9 C 368/20b vom 28.10.2020) und einem Bekleidungsgeschäft (9 C 361/20y vom 04.12.2020) ausgesprochen, dass die jeweiligen Geschäftsraummieter im Zeitraum des ersten Covid-19-Lockdowns vom 16. März 2020 bis 30. April 2020 ihrer vertraglich festgelegten und bisher ausgeübten Tätigkeit im Bestandobjekt nicht nachkommen konnten und daher nach § 1104 ABGB keinen Mietzins zu bezahlen haben. Aus der Begründung des Gerichts ist Folgendes hervorzuheben:

1) In der beispielhaften Aufzählung des § 1104 ABGB werde ausdrücklich die Seuche angeführt, welche eine bedrohliche und sich rasch verbreitende Krankheit bezeichne. Das Coronavirus als anzeigepflichtige Krankheit habe sich rasch und weltweit verbreitet; die Covid-19-Pandemie sei somit eine Seuche iSd § 1104 ABGB.

2) Die Gebrauchseinschränkung wegen der Covid-19-Pandemie liege gerade nicht in der Sphäre des Bestandnehmers und sie sei auch kein vom Bestandnehmer zu tragendes "allgemeines Lebensrisiko".

3) Eine Zinsminderung trete nicht nur ein, wenn die Bestandsache selbst mangelhaft ist, sondern auch dann, wenn der Bestandnehmer aus nicht aus seiner Sphäre stammenden Gründen an der vertragsgemäßen Nutzung gehindert ist. Abgestellt werde nicht auf die absolute Unbenutzbarkeit, sondern auf die Unbenutzbarkeit zum vereinbarten Gebrauch; die vereinbarte unternehmerische Tätigkeit müsse zumindest teilweise auch ohne unmittelbaren Kundenkontakt in den Verkaufsräumen möglich sein.

4) Die Befreiung zur Bezahlung des Bestandzinses betreffe den Hauptmietzins und die Betriebskosten.

5) Zwischen 16. März 2020 und 30. April 2020 war der Zutritt zum Kundenbereich der Mieterinnen verboten. Der vertraglich bedungene und auch bisher tatsächlich ausgeübte Gebrauch des Bestandobjekts (dh der Verkauf von Bekleidung bzw der Betrieb eines Friseursalons) war nicht möglich. Eine tatsächlich nur teilweise Unbrauchbarkeit wäre vom Bestandgeber zu beweisen gewesen.

6) Die bloße Tatsache, dass der Mieter die Geschäftsräume auch zum Lagern von Sachen nutzt, führe nicht zu einer bloß teilweisen Unbenutzbarkeit, sofern die unternehmerische Tätigkeit, der die Lagerung dient, gänzlich unmöglich gemacht wurde. Die Lagertätigkeit würde nur ins Gewicht fallen, wenn sie über die vereinbarte Tätigkeit hinausgeht.

7) Die Auslage der Geschäftsräume habe nicht zur weiteren Geschäftstätigkeit beigetragen (Anlocken von Kunden, Werbung, etc), da das Betreten des öffentlichen Raums im konkreten Zeitraum nur sehr eingeschränkt erlaubt war (unabhängig davon, ob der Wortlaut der relevanten Verordnung diese Auslegung tatsächlich hergab, sei die Bevölkerung davon ausgegangen). Überdies seien auch die Auslagen nicht neu dekoriert worden.

8) Die Mieterinnen hatten im konkreten Fall keinen Online-Shop. Die Bestellung von Gutscheinen im Internet habe im Fall des Bekleidungsgeschäfts nicht zu einer weiteren Benutzbarkeit der konkreten Filiale geführt.

9) Unerheblich sei, welchen Umsatz die Mieterinnen in den Folgemonaten hatten.

10) Dem Umstand des "Reserviert-Haltens" (das heißt der Tatsache, dass das Bestandobjekt der Mieterin nach den Covid-19 bedingten Einschränkungen wieder zur Verfügung steht) habe der Gesetzgeber offenbar keinen eigenständigen Wert zuerkennen wollen.

 

Vorerst droht Entfall des gesamten Mietzinsanspruches

Die beiden erstinstanzlichen Entscheidungen des Bezirksgerichts Meidling wurden mittlerweile rechtskräftig, weil sie von Vermieterseite nicht bekämpft wurden. Ob die dargestellten mieterfreundlichen Erwägungen auch vom Obersten Gerichtshof bestätigt werden, bleibt daher abzuwarten. Vorerst droht damit Vermietern der Entfall des gesamten Mietzinsanspruches (Hauptmietzins und Betriebskosten), sofern und solange die vermieteten Geschäftsräume aufgrund der Covid-19-Pandemie – zum Beispiel wegen eines Betretungsverbots – nicht (teilweise) für die Ausübung der vereinbarten unternehmerischen Tätigkeit gebraucht werden können.