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Blockchain-Lawyer oder Wald-und-Wiesen-Anwalt?

Von Ingo Dieter Joham

Recht
Der symbolische Krönungsakt der anwaltlichen "Erfolgsformel" war lange Zeit die Montage des Messingschilds am Hauseingang.
© WZ-Collage: Quelle: stock.adobe.com / Alx

Erfolgsversprechende Nischen am Anwaltsmarkt.


Seit Jahren steigt die Anzahl der Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen in Österreich unentwegt an. Der kompetitivere Markt fordert mehr als je zuvor eine klare Positionierung.

Doch vorerst zurück ins Jahr 1995, ein Jahr voller Sternstunden: Anfang 1995 trat Österreich der Europäischen Union bei, zur Mitte hieß es für Thomas Muster im Stade Roland Garros in Frankreich: "Jeu, set et match", und am Ende des Jahres erreichte die Anzahl der Rechtsanwälte mit 3.261 einen nie da gewesenen Höchststand. Anno 2021 ist die EU nach wie vor omnipräsent. Thomas Muster als einziger heimischer Gewinner eines Grand-Slam-Turniers ist hingegen ebenso Geschichte wie der damals geltende Advokaten-Höchststand: Mit 6.785 (Stand: 26. April 2021) Rechtsanwälten hat sich die Anzahl seither mehr als verdoppelt. Und damit einhergehend auch der Wettbewerbsdruck am Markt.

Frühere Nischen

Lange Zeit lautete die anwaltliche "Erfolgsformel": Rechtswissenschaftliches Grundstudium gefolgt von der Rechtsanwaltsprüfung und erlangter Eintragungsfähigkeit. Der symbolische Krönungsakt war die Montage des Messingschilds am Hauseingang. Das anwaltliche Business zwischen Boden- und Neusiedlersee war quasi ein Selbstläufer. Heute braucht es bei Weitem mehr, um sich von der Masse abzuheben. Selbst Business-Pläne und Resilienz-Konzepte stellen in Anwaltskanzleien anno 2021 keine Fremdwörter dar. Mit der positiv absolvierten Rechtsanwaltsprüfung im Gepäck stellt sich am Gipfel anwaltlicher Träume für viele Anwaltsaspiranten die Frage: Was nun?

Der Status quo fördert Interessantes zu Tage: Während sich hierzulande neben 67 jagdrechtlichen Experten auch unzählige Spezialisten für Kleingarten-, Fischerei-, Oldtimer- und Pferderecht identifizieren lassen, findet sich im reichhaltigen Fundus der Rechtsanwaltskammer bei der Suche nach "Legal Tech" kein einziges Standesmitglied. Das Motto dieser Nischenfindungsstrategie lautet(e) wohl: Verbinde private und berufliche Interessen. Die Bedürfnisse des aktuellen Marktes finden hier nur eingeschränkt Berücksichtigung. Was braucht es heute, um erfolgreich zu sein? Einen marktkonformeren Gesamtansatz, schlanke Strukturen, Serviceorientierung und eine beständige Anpassungsfähigkeit.

Die Krypto-Nische

Von null auf hundert ging es nicht nur mit Bitcoin & Co, sondern auch mit der Kanzlei von Oliver Völkel und Arthur Stadler. Die Kanzlei, die im März ihr fünfjähriges Jubiläum feierte, beschäftigt mittlerweile 30 Mitarbeiter. Seine Genese zu einem der juristischen Blockchain-Branchenprimi erklärt der technikaffine Völkel: "Am Anfang stand die intrinsisch motivierte Frage nach der Funktionsweise einer Blockchain sowie danach, was virtuelle Währungen rechtlich darstellen. Schließlich gibt es keinen rechtsfreien Raum, und auch neue Phänomene des Internetzeitalters müssen sich nahtlos in unser rechtliches Verständnis einordnen lassen."

Wie so oft war es beim Kapitalmarktrechtsanwalt Völkel auch der Mangel an Perspektive und gefühlter Wertschätzung, der ihn 2016 in einer Großkanzlei die Reißleine ziehen ließ. Er hat es nicht bereut. Um vorzeitigen Schiffbruch zu vermeiden, ist es unabdingbar, "neben qualitativ ausgezeichneter Arbeit und diversen Marketingaktivitäten ein Alleinstellungsmerkmal zu haben - am besten in fachlicher Hinsicht, das einen vom Mitbewerb abhebt".

Die kulturelle Nische

Dass man jedoch auch abseits eines fachlichen Spezialgebiets reüssieren kann, verdeutlicht Alexander T. Scheuwimmer: Er ist der einzige japanischstämmige Rechtsanwalt Österreichs. Seit 2017 betreut er mit TAIYO Legal insbesondere ostasiatische Unternehmen in wirtschaftsrechtlichen Angelegenheiten. Auch in seinem Fall waren es einerseits der perspektivische Mangel und andererseits der Wille, sein Alleinstellungsmerkmal optimaler zu vermarkten. Heute berät er mit einem zehnköpfigen Team im Finanz- und Immobilienrecht sowie ostasiatische Unternehmen und begleitet vice versa auch europäische Firmen bei ihren Engagements in Ostasien.

Mandate wie diese machen heute etwa 80 Prozent seines Gesamtumsatzes aus. Scheuwimmers Schlüssel zum Erfolg: Aus der siebenjährigen Großkanzlei-Ära blieb vor allem das Wissen um das Innenleben (inter)nationaler Konzerne sowie das damit einhergehende Stakeholder-Management. "Noch wichtiger als das Netzwerk, das ich in Japan aufbaute, sind in meinem beruflichen Alltag die interkulturelle Kompetenz und die während des M.B.A.-Studiums in Tokio erlernten Business-Japanisch-Kenntnisse."

Dass erfolgreiches Nischen-Mitbewerbertum kein urbanes Phänomen darstellt, spiegelt die Vita von David Suntinger wider. Den kosmopolitischen Kärntner verschlug es zum Studieren in die Bundeshauptstadt. Auch bei ihm folgten einige Jahre in der internationalen Großkanzlei. Sein fachliches Steckenpferd: IP-, IT- und Datenschutzrecht. Doch das ist seit 2015 Geschichte. Heute residiert der Mittdreißiger mit seiner "Rechtsmanufaktur" im Zentrum von St. Veit an der Glan.

Die rurale Nische

Es ist dem strukturschwachen Süden geschuldet, dass er heute freilich auch Dienstleister für den täglichen (wirtschafts)rechtlichen Bedarf ist. Aber wenn es um die Bereiche Marken-, Urheber-, IT- und Datenschutzrecht geht, so ist Suntinger, der auch zertifizierter Datenschutzbeauftragter ist, der regionale Spezialist. Suntingers Motivation zum Weg in die rurale Nische: "Meine mittelfristige Rückkehr war immer geplant. Ich handelte bewusst antizyklisch - auch, um zu verhindern, dass die ländliche Region weiter vom Brain Drain ausgedünnt wird."

Mittlerweile beschäftigt Suntinger fünf Mitarbeiter. Was blieb aus der Großkanzleizeit? "Tiefschichtigere Recherche, Selbstverständnis als Dienstleister für Mandanten, Denken in größeren rechtlichen Kategorien, der absolute Wille zum Lösen juristischer Probleme sowie mandantenfreundliches Formulieren", sagt Suntinger über seine dogmatischen Eckpfeiler.

Mut zur Lücke

Und die Moral von der Geschicht’? Mut zur Lücke zahlt sich unter bestimmten Voraussetzungen aus. Was die drei unterschiedlichen Nischenplayer vereint: Studien im In- und Ausland inklusive Promotion, erfolgreiches Marketing, Großkanzleierfahrung, der Wille, die Extrameile zu gehen, sowie das ultimative Dienstleistungsversprechen.

Fest steht: Die Ära der Wald-und-
Wiesen-Advokaten, die glauben, die gesamte juristische Klaviatur zu beherrschen, ist vorüber. Was gestern noch als State-of-the-Art angesehen wurde, erscheint unter dem Lichte einer komplexeren (juristischen) Welt zunehmend töricht. Fundiertes Know-how in zehn Fachbereichen und mehr in Personalunion? Dieser Stern ist am Sinken. Was es aktuell braucht, ist stark konjunkturabhängig. Das wird uns nicht zuletzt der Bedarf an Insolvenzrechtsexperten in der nahen Zukunft vor Augen führen. Ob der - laut Rechtsanwaltskammer - einzige österreichische Weltraumrechtsexperte den Puls der Zeit treffen wird? Das steht wohl in den Sternen.

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