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Das Risiko der Scheinselbständigkeit

Von Maximilian Schreiber

Recht
Selbständige verfügen über eigenes Material und eigene Geräte und nutzen diese bei der Ausführung eines Auftrags.
© adobe.stock / golubovy

Sollte ein Auftragnehmer nachträglich zum Arbeitnehmer deklariert werden, kann das teuer werden.


Viele Menschen möchten sich nicht erst seit dem Ausbruch der Pandemie auf eigene, berufliche Beine stellen. Welche Aspekte sollten Sie beachten, damit Ihr Vorhaben in die Selbständigkeit von Erfolg gekrönt ist und nicht in eine Scheinselbständigkeit mündet?

Bei der Scheinselbständigkeit geht es im Grundsatz darum, die Arbeitnehmer-Schutzvorschriften und Leistungsansprüche des Arbeits- und Sozialrechts zu sichern. Wenn aber der Status der Selbständigkeit näher unter die Lupe genommen wird, dient das nicht allein dem Arbeitnehmerschutz. Damit alle gesetzlichen Aufgaben erfüllt werden können, sind die Träger der Kranken-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung an möglichst vielen Mitgliedern interessiert. Bei der regelmäßigen Überprüfung schießen die Versicherungen daher oft weit übers Ziel hinaus. Ein Beispiel: Statt dem gängigen Modell des gering qualifizierten und schlecht bezahlten "Subunternehmers" konsequent einen Riegel vorzuschieben (zum Beispiel auf dem Bau oder in Schlachthöfen), müssen oft freie Mitarbeiter ihre Tätigkeit aufgeben, weil sie als Scheinselbständige behandelt werden. Dann wird diese engagierte Berufsgruppe gegen den eigenen Willen zu Arbeitnehmern gemacht.

Kriterien der Selbständigkeit

Wie ist dies zu vermeiden? Wenn eine Person das gesamte wirtschaftliche Risiko ihrer Tätigkeit trägt, gilt sie als selbständig. Selbständige sind nicht weisungsgebunden und können aus freien Stücken heraus entscheiden, welche Aufgaben sie erledigen möchten und welche nicht. Ein Selbständiger oder freier Mitarbeiter ist nicht in eine betriebliche Organisation des Auftraggebers eingebunden. Allerdings ist jeder Fall individuell zu beurteilen, denn: Die Scheinselbständigkeit oder Selbständigkeit ist keine reine Eigenschaft eines Menschen, sondern die Art und Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beziehungsweise um Auftraggeber und Auftragnehmer.

Distanz zum Auftraggeber

Wenn man eigene Mitarbeiter beschäftigt, gilt man in der Regel als Selbständiger. Auch mehrere Auftraggeber sprechen für eine Selbständigkeit. Natürlich sollten sich die Umsätze ebenfalls auf mehrere Auftraggeber verteilen. Selbständige tragen ihr geschäftliches Risiko selbst. Ihr Gewinn ist das Resultat ihrer eigenen Arbeit und ihrer eigenen Entscheidungen. Sie schließen betriebliche Versicherungen ab, um für den Fall der Fälle gewappnet zu sein. Sie verfügen über eigenes Material, eigenes Werkzeug, eigene Geräte und nutzen diese bei der Ausführung eines Auftrags.

Selbständige können selbst entscheiden, welche Arbeiten sie wann ausführen möchten und welche Einsätze sie annehmen oder ablehnen. Sie sind im Gegensatz zu Angestellten nicht dem "Direktionsrecht" eines Arbeitgebers unterworfen, und es herrscht eine gewisse Distanz zur Arbeits- und Betriebsorganisation des Auftraggebers. Sie nehmen nicht regelmäßig an Teamsitzungen teil, stehen nicht im Dienstplan und genießen keine innerbetrieblichen Vergünstigungen für Mitarbeiter wie beispielsweise bezuschusstes Essen in der Werkskantine.

Wer selbst eigene Betriebsräume unterhält, sorgt dafür, dass der Verdacht auf Scheinselbständigkeit weitestgehend ausgeschlossen werden kann. Im Umkehrschluss muss es aber nicht bedeuten, dass eine Scheinselbständigkeit vorliegt, nur weil keine eigenen betrieblichen Räume existieren. Hier geht es vor allem darum, in welcher Branche man tätig ist. Auch eigene Marketing-Aktivitäten mit Werbung, Social-Media-Account und Website und Co. sind wesentliche Anzeichen dafür, dass sich hier ein selbständiger Unternehmer aktiv um neue Kunden bemüht. Das machen Arbeitnehmer und Scheinselbständige nämlich nicht.

Firmenkleidung nicht Pflicht

Am einfachsten fällt die Unterscheidung zwischen Selbständigkeit und Anstellung, wenn die betreffende Person von Außenstehenden wie Kunden, Zulieferern oder sonstigen Dritten gar nicht erst als Mitarbeiter des Unternehmens wahrgenommen wird. Ein Indiz dafür könnte beispielsweise sein, dass diese Person nicht dazu verpflichtet ist, die Firmenkleidung des Auftraggebers zu tragen.

All diese genannten Faktoren werden bei der Prüfung, ob eine Scheinselbständigkeit vorliegt, einzeln unter die Lupe genommen. Doch auch, wenn bei dem einen oder anderen Punkt der Verdacht einer Scheinselbständigkeit aufkommen kann: Ausschlaggebend ist letztendlich das Gesamtkonstrukt der Zusammenarbeit.

Beispiele einer Selbständigkeit, die auf den ersten Blick wie eine Scheinselbständigkeit aussieht:

  • Selbständige Promoter werden häufig als Firmenangehörige wahrgenommen. Das ist auch erwünscht, da sie ja das Produkt des jeweiligen Unternehmens bewerben. Dennoch liegt keine Scheinselbständigkeit vor, sofern sie für verschiedenen Agenturen oder Firmen tätig sind.

  • Freiberufliche Autoren arbeiten oft für Start-ups. Sie gestalten Texte und Infomaterial und müssen keine großen Investitionen tätigen. Trotzdem tragen sie das Risiko eines Forderungsausfalls, falls ein junges Unternehmen die Rechnungen nicht mehr bezahlen kann.

  • Selbständige Berater in der IT arbeiten oft über Monate hinweg nur für einen Kunden. Das ist in der Branche durchaus üblich. Auch hier liegt keine Scheinselbständigkeit vor, da sie im Anschluss ja wieder für andere Unternehmen beratend tätig werden.

Gelebte Praxis unter der Lupe

Auf den Punkt gebracht: Es kommt nur darauf an, was Auftraggeber und Auftragnehmer vertraglich vereinbaren. Papier ist geduldig und alleine mit schriftlichen Absichtserklärungen und entsprechenden Vertragsbestandteilen lässt sich keine Selbständigkeit beweisen. Viel wichtiger ist die gelebte Praxis. Sollte es zum Rechtsstreit kommen, wird diese ganz genau unter die Lupe genommen.

Sollte eine Scheinselbständigkeit festgestellt und ein Auftragnehmer nachträglich zum Arbeitnehmer deklariert werden, kann das teuer werden. In diesem Falle muss der Auftraggeber rückwirkend für bis zu vier Jahre Sozialabgaben und Steuern nachbezahlen.

Der Scheinselbständige selbst muss bei der aktuellen Rechtslage also keine Strafzahlungen befürchten, dennoch sollte er im Sinne einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit seinem Auftraggeber dafür sorgen, dass der Verdacht auf Scheinselbständigkeit gar nicht erst aufkommen kann. Weil die Sanktionen für Unternehmen, die Scheinselbständige beschäftigen, sehr hart sind, verzichten inzwischen viele Unternehmen darauf, Aufträge an Solo-Selbständige zu vergeben, um diese eventuellen Risiken von vornherein auszuschließen.

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