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Viel mehr als nur Gewinne erzielen

Von Josef Baumüller

Recht
Ende Juni 2022 wurden auf EU-Ebene die Weichen für die Zukunft der Nachhaltigkeitstransparenz von Unternehmen gestellt.
© adobe.stock / j-mel

Verpflichtende Nachhaltigkeitsberichte könnten Unternehmen in eine erfolgreichere, grünere Zukunft führen.


Der berühmte Ausspruch von Milton Friedman, wonach es die einzige soziale Verantwortung von Unternehmen sei, Gewinne zu erzielen - kurz auch: "The business of business is business" -, gilt als nicht mehr salonfähig. Wissenschaftlichen Studien sonder Zahl belegen die Notwendigkeit einer Verhaltensänderung in der Gesellschaft und all ihrer Akteure, nicht zuletzt der Unternehmen in dieser. In Gestalt des Klimawandels und zahlreicher sozialer Missstände ist diese Handlungsnotwendigkeit für große Teile der Menschheit bereits eine sehr unmittelbar spürbare.

Ein aus politischer Sicht vergleichsweise einfacher Weg zu einer solchen Veränderung liegt in der Regulierung von Marktmechanismen und als Grundlage hierfür Transparenzpflichten. Vorgaben wie jene der Taxonomie-Verordnung oder der Non-Financial Reporting Directive (NFRD) sind Beispiele für wichtige Instrumente, die heute schon Unternehmen intensiv beschäftigen: Beide wollen Transparenz darüber schaffen, wie nachhaltig entfaltete Wirtschaftsaktivitäten sind, wie ökologische und soziale Auswirkungen als Teil des Geschäftsmodells gesteuert werden. Darauf ist in eigenen Berichten für den Kapitalmarkt ausführlich einzugehen.

Die Unternehmensfinanzierung wird in Folge über politisch ebenso neu gestaltete Rahmenbedingungen so ausgerichtet, dass gewünschtes - nachhaltiges - Verhalten belohnt und nicht-nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten demgegenüber immer schwieriger finanzierbar werden. Nachhaltigkeit wird so zum neuen "business of business"; die Politik verspricht sich dadurch, sich durch das Vermeiden direkter Eingriffe so manche unangenehme Diskussion zu ersparen.

Ende Juni 2022 wurden auf EU-Ebene nun die Weichen gestellt für die Zukunft der Nachhaltigkeitstransparenz: Nach mehrjähriger Vorarbeit konnte die politische Einigung zu einer Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) erzielt werden. Sie wird Zahl und Tiefgang der Nachhaltigkeitsberichte, die von europäischen Unternehmen erstellt werden, erweitern. Zukünftig müssen europäische Standards beachtet werden, und die Verantwortlichkeiten von Vorstand und Aufsichtsrat werden nachgeschärft. Nachhaltigkeitsstrategien, nachhaltigkeitsbezogene Vergütungssysteme und Übergangspläne, wie Unternehmen in den kommenden Jahrzehnten klimaneutral werden möchten, sollen fortan Kernelemente der Corporate Governance werden. Dies alles geht weit über das hinaus, das heute selbst die fortschrittlichsten Unternehmen berichten, und erfordert in vielen von ihnen nichts anderes als einen grundlegenden Kulturwandel.

Berichterstattung wird "Mainstream"

Soviel zu der Dimension der neuen Vorgaben: Bald werden EU-weit rund 50.000 Unternehmen unter die Berichtspflicht fallen, davon rund 2.000 in Österreich. Im Vergleich dazu unterliegen gegenwärtig erst knapp 90 Unternehmen in Österreich der Pflicht zu einer Nachhaltigkeitsberichterstattung. Diese beträchtliche Steigerung begründet sich vor allem darin, dass alle großen Kapitalgesellschaften in der EU Nachhaltigkeitsberichte werden vorlegen sollen. Damit liegt der Fokus nicht mehr auf börsennotierten Unternehmen, auch Familienunternehmen oder sogar Organisationen des Sozialsektors und Hochschulen haben zu berichten.

Dazu kommt, das eine wohl noch größere Zahl an Unternehmen indirekt gezwungen sein wird, eine an den europäischen Vorgaben angelehnte Berichterstattung aufzubauen. Die zukünftig berichtspflichtigen Unternehmen haben ihre gesamte Wertschöpfungskette abzubilden. Das bedeutet, dass etwa Treibhausgasemissionen bei Lieferanten oder die Arbeitsbedingungen bei Subauftragnehmer berichtet werden müssen.

Mittelständische Unternehmen, die nunmehr häufig Teil dieser Wertschöpfungsketten sind, werden sohin nicht umhinkommen, selbst die Daten zu erheben und an ihre Geschäftspartner zu übermitteln, um nicht ihre Geschäftsbeziehung zu gefährden. Dies wird beträchtliche Mehrkosten verursachen. Wirtschaftsvertreter sprechen von einem Wettbewerbsnachteil für kleine und mittlere Unternehmen mit potenziell weitreichenden Folgen, zugunsten von Großunternehmen beziehungsweise von außereuropäischen Wettbewerbern.

Aber auch für diesen letzten Punkt traf die EU-Kommission Vorkehrungen: Erstmals werden Unternehmen, die ihren Sitz in einem Drittstaat haben, mit einer Berichtspflicht konfrontiert. Kriterium ist, dass diese Unternehmen in einem bedeutsamen Maße Geschäfte im EU-Raum machen. Dies ist freilich politisch heikel. Einerseits soll damit ein "level playfield" für europäische Unternehmen erreicht werden, das heißt, die potenziellen Wettbewerbsnachteile sollen aus der fordernden Regulatorik kompensiert werden. Andererseits kommt an dieser Regelung erneut der Anspruch der EU-Kommission zum Vorschein, ihre eigenen Nachhaltigkeitsbestrebungen global zu exportieren. Dafür spielt sie ihre Wirtschaftsmacht aus.

So mancher Klärungsbedarf verbleibt

Auch nach Vorlage der Endfassung der CSRD verbleibt noch so mancher Klärungsbedarf. Die zukünftig zur Anwendung gelangenden europäischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung werden etwa von einer privatrechtlichen Organisation entwickelt, deren Mitglieder nicht frei von Eigeninteressen sind - und deren erste Facharbeiten berechtigte Sorgen überschießender Anforderungen wecken. Darüber hinaus ist noch offen, wie sich die europäische Initiative in den Kontext ebenso bereits existierender globaler Bestrebungen fügt, weltweit anwendbare Nachhaltigkeitsstandards zu entwickeln.

Erstmals wird auch eine Prüfpflicht für die erstellten Nachhaltigkeitsberichte vorgeschlagen - als weiterer Schritt gegen das Greenwashing. Allerdings: Nach welchen Methoden und durch welche Dienstleister dies sinnvoll geschehen kann, ist ebenso noch unklar wie die Antwort auf die Frage, wie die dafür erforderlichen Personalressourcen angestellt und ausgebildet werden sollen. Jedenfalls wird es trotz der CSRD noch lange dauern, bis eine externe Qualitätssicherung von Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung wirklich auf Augenhöhe erfolgen wird.

Die neuen Pflichten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung gemäß CSRD sind von Unternehmen, die heute schon der NFRD unterliegen, für das Geschäftsjahr 2024 anzuwenden - für den größten Teil der erstmals Berichtspflichtigen beginnt diese Pflicht dann ein Geschäftsjahr später. Zuvor steht die Umsetzung der EU-Vorgaben ins nationale Recht sowie die Finalisierung der Berichtsstandards an sowie die Klärung der vielen Zweifels- und Anwendungsfragen. Dies umschließt die Frage, wie direkte und indirekte Berichtspflichten für KMU angemessen begrenzt werden können. Gleichzeitig müssen Unternehmen beginnen, die notwendigen Voraussetzungen für die Erstanwendung zu schaffen. All dies wird mehr als nur einen Kraftakt fordern; der Zeitdruck ist schon jetzt ein großer.

Wichtige Herausforderungen für die Politik

Aber auch die Politik hat noch wichtige Hausaufgaben offen: Ein politisch durchdachter Gesamtrahmen für die neuen Vorgaben fehlt nämlich noch immer. Der gegenwärtige Fokus auf ökologische Nachhaltigkeit führt etwa dazu, dass soziale Fragen oftmals wenig gewürdigt werden. Wenn Unternehmen etwa über Transparenz- und Kapitalmarktmechanismen letztendlich dahin gelenkt werden, gewisse Energieträger zu nützen oder bestimmte Immobilienklassen zu meiden, so beeinflusst dies Märkte und trifft bestimmte Bevölkerungsschichten mitunter auf negative Weise. Dies fordert flankierende Maßnahmen des sozialen Ausgleichs wie etwa Steueranreize oder Förderungen durch die öffentliche Hand, denn die zuvor genannten Mechanismen kommen hier schnell an ihre Grenzen.

Nicht nur ist der Gesetzgeber also gefordert, die Qualität seiner Berichtsvorgaben weiterzuentwickeln, sondern auch, dafür zu sorgen, dass die damit erzielten Wirkungen schlussendlich die erwünschten sind. Ganz zu schweigen davon, dass Hebel wie die öffentliche Nachhaltigkeitsberichterstattung (zum Beispiel von Gemeinden) oder die Würdigung der Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen im Rahmen des öffentlichen Beschaffungswesen noch kaum genutzt werden.

In all diesen Punkten war sein Eifer in den vergangenen Jahren geringer als in der Erarbeitung neuer (Berichts-)Vorgaben für Unternehmen. Dennoch: Eine Lösung gesellschaftlicher Probleme ohne (weitere) substanzielle Beiträge seitens der öffentlichen Hand und des Gesetzgebers wird kaum gelingen. Daran wird sich letztlich entscheiden, inwieweit das neue "Corporate Sustainability Reporting" wirklich zu einer nachhaltigeren Welt führt.

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