Zum Hauptinhalt springen

Leichte Bewegung in der Justizpolitik

Von Oliver Scheiber

Recht
Oliver Scheiber ist Richter in Wien und einer der Proponenten des Rechtsstaats- und Korruptionsvolksbegehrens; der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.

Mit dem Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 kommt ein seit vielen Jahren geforderter Reformprozess in Gang.


Kürzlich hat sich die Regierung auf eine Reform des Korruptionsstrafrechts geeinigt. Bewegung ist in die Justizpolitik aber bereits zur Jahreswende gekommen. Am 30. Dezember wurde im Bundesgesetzblatt das sogenannte Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 veröffentlicht. Damit kommt ein seit vielen Jahren geforderter Reformprozess in Gang.

Der Maßnahmenvollzug bezeichnet im österreichischen Strafrecht die Anhaltung von Menschen, die Straftaten unter dem Einfluss ihrer psychischen Erkrankung begangen haben. Das Regelwerk dafür war 1975 neu geschaffen worden. Das bei seiner Einführung moderne Gesetz wird heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht. Über die Jahre wurden immer mehr Menschen wegen immer geringerer Anlassfälle untergebracht, und das für eine im Vorhinein unklare Zeitspanne. Die Justiz übernahm so immer mehr Aufgaben des Gesundheitssystems.

Die Zahl der Untergebrachten stieg von 495 Personen zum 1. Jänner 2001 auf 1.443 Personen zum 1. Jänner 2022. Die Gründe für diesen Anstieg sind vielfältig. Sie hängen unter anderem mit einer unbefriedigenden Infrastruktur von psychiatrischen Ambulanzen und niedergelassenen Psychiaterinnen und Psychiatern zusammen. Salopp formuliert werden viele Menschen mit ihrer Erkrankung so lange allein gelassen, bis etwas passiert, und dann werden sie für oft viele Jahre eingesperrt, dies wiederum oft unter medizinisch nicht adäquaten Rahmenbedingungen.

Die vom früheren Justizminister Brandstetter eingeleiteten Reformbemühungen kamen zunächst zu keinem Abschluss. Nun legte Justizministerin Alma Zadic dem Parlament einen Entwurf vor, der im Dezember als Gesetz beschlossen wurde. Er enthält terminologische Anpassungen, die einen neuen Zugang signalisieren: Die bisherige "Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher" wird zur "Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum", statt von "geistiger oder seelischer Abartigkeit höheren Grades" spricht das Gesetz nun von "schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störungen".

Inhaltlich enthält das Gesetz eine Vielzahl kleinerer Anpassungen, die in Summe noch keine große Reform ausmachen. Ein großer Wurf sollte die Reform aber sehr wohl für den abgegrenzten Bereich des Jugendstrafrechts bedeuten: Personen unter 18 Jahren werden künftig nur noch unter viel engeren Bedingungen untergebracht werden können als bisher. Zur insgesamt markanten Reform soll die Novelle durch einen zweiten Gesetzesschritt werden, den das Justizministerium vorbereitet.

Psychiatrische Betreuung verbessern

Wie erfolgreich die Reformbemühungen sein werden, hängt allerdings maßgeblich vom Willen der Länder, Gemeinden und Sozialversicherungsträger ab, die psychiatrische Betreuung im Bereich der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sowie der Krankenhäuser zu verbessern. Der Zusammenhang liegt auf der Hand: Je besser das Behandlungsangebot für psychische Erkrankungen ist, umso geringer ist die Zahl der von psychisch kranken Menschen begangenen Straftaten.

Die Maßnahmenvollzugsreform bedeutet eine, wenn auch überfällige, so doch bemerkenswerte justizpolitische Bewegung. Die seit Jahrzehnten immer wieder geforderte Reform der Weisungsspitze der Staatsanwaltschaften ist auch im Jahr 2022 nicht zustande gekommen. Allerdings wurde der Diskussionsprozess effizient und klug gesteuert, sodass seit September erstmals ein Vorschlag auf dem Tisch liegt, der eine breite Unterstützung von Expertinnen und Experten erfährt: Demnach sollte eine neue Generalstaatsanwaltschaft künftig bei der Generalprokuratur angesiedelt werden und aus mehreren Dreiersenaten bestehen. Die Umsetzung des Vorschlags würde das Ende der politischen Weisungsspitze in Form der Justizministerin bedeuten.

Die endgültigen Formulierungen bedürfen hoher Sensibilität, um die strafrechtlichen Untersuchungen der Justiz möglichst sicher dem politischen Zugriff zu entziehen und Unabhängigkeit nach internationalen Standards zu garantieren. Die zentrale Reform zur Absicherung eines unbeeinflussten Arbeitens der Staatsanwaltschaften wäre es, Weisungen und Berichtspflichten im ersten Abschnitt des Strafverfahrens, im sogenannten Ermittlungsverfahren, generell abzuschaffen und die Kontrolle des Ermittlungsverfahrens zur Gänze den unabhängigen Gerichten anzuvertrauen.

Jahre des Kaputtsparens sind nur auf dem Papier vorbei

Budgetär setzte sich im Justizbereich im Vorjahr die eingeleitete Konsolidierung fort. Die Jahre des Kaputtsparens der Justiz sind auf dem Papier vorbei, die Fehler der übertriebenen Sparwut der 2010er Jahre werden aber in manchen Bereichen erst jetzt voll wirksam: etwa in der Wiener Justiz, wo es zu ähnlichen Personalproblemen kommt, wie man sie aus dem Gesundheitssystem kennt. Es sind zwar Planstellen vorhanden, aber es fehlt an qualifiziertem Personal, um die Stellen zu besetzen. Viele Kräfte aus dem Kanzleibereich der Justiz wandern zudem in besser bezahlte Sektoren ab.

Im vergangenen Jahr weiter an Fahrt aufgenommen hat die Digitalisierung der Justiz, also die Umstellung des Papieraktes auf rein elektronische Aktenführung, und schreitet rasant voran. Österreich ist hier im internationalen Vergleich auf einem sehr guten Stand. Ansonsten ist der Justizbereich naturgemäß keine Insel der Seligen in einer Zeit und Konstellation des politischen Stillstands. Demokratiepolitisch nicht hoch genug einzuschätzen ist die unbeugsame Unterstützung einer politisch unbeeinflussten Arbeit der Staatsanwaltschaften durch die Justizministerin. Die persönliche Integrität der Justizministerin korrespondiert mit der gesetzlich geforderten Unparteilichkeit von Gerichten und Staatsanwaltschaften und ist in einer Zeit von Populismus und tagespolitischem Hasard ein unverzichtbares Sicherheitsnetz für den Rechtsstaat.

Sie sind anderer Meinung?

Diskutieren Sie mit: Online unter www.wienerzeitung.at/recht oder unter recht@wienerzeitung.at