Zum Hauptinhalt springen

Nachhaltig ist nur die Geschäftemacherei

Von Josef Baumüller

Recht

Unternehmen der EU sollen zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung motiviert werden, indem sie über ihr Tun in sensiblen Bereichen transparent Rechnung legen müssen.


"Accountants Can Save the World" ("Buchhalter können die Welt retten"): So lautete der Titel in einem Fachjournal zu einem Interview, das ich vor einigen Jahren mit dem Harvard-Professor Robert G. Eccles, einem Vordenker auf dem Gebiet der nichtfinanziellen Berichterstattung, führen durfte. Auch wenn dies auf den ersten Blick verwunderlich klingt: Tatsächlich liegen innerhalb der Europäischen Union große Hoffnungen auf der Rechnungslegung von Unternehmen, entscheidende Beiträge zu einer besseren, gar: "nachhaltigeren" Welt- und Wirtschaftsordnung zu leisten. Anfang dieses Jahres formulierte das die Kommission erneut deutlich in ihrem "Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums".

Die zugrunde liegende Idee ist jene des "Naming and Shaming": Unternehmen sollen zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung motiviert werden, indem sie über ihr Tun in aus gesellschaftlicher Sicht sensiblen Bereichen transparent Rechnung legen müssen - vor den Augen ihrer Eigentümer, Kunden und NGOs. Denn mit einer bekannten Metapher ausgedrückt gilt wohl: "Sonnenlicht ist das beste Desinfektionsmittel".

"Nichtfinanzielle Leistung"

Einen Meilenstein dieser Entwicklung stellte die "NFI-Richtlinie" (2014/95/EU) dar, die in Österreich Ende 2016 durch das Nachhaltigkeits- und Diversitätsverbesserungsgesetz (NaDiVeG) seine Umsetzung erfuhr. In einem noch nicht dagewesenen Umfang wurden bestimmte große Unternehmen und Konzerne verpflichtet, umfassend Rechenschaft über ihre "nichtfinanzielle Leistung" (der bilanzrechtlichen Übersetzung von "Nachhaltigkeitsleistung") abzulegen - nach einer einheitlichen Rechtsgrundlage und unter Androhung gravierender haftungs- und strafrechtlicher Sanktionen.

Dabei ist es vor allem der Aufsichtsrat, dessen Verantwortung für die Sicherstellung einer hohen Berichtsqualität in den Fokus gerückt wurde, um dem Thema in den Organisationen weiteren Vorschub zu leisten. Die Euphorie war anfangs groß, man sprach von einem "Paradigmenwechsel". Doch was nach zahllosen Verhandlungsschleifen auf EU-Ebene und einem geradezu fahrlässigen Transformationsprozess durch das Justizministerium blieb, ließ einzig Enttäuschung übrig: Formal fehlerhafte und inhaltlich unbestimmte Rechtsanforderungen werfen auch heute noch mehr Fragen auf, als sie Leitlinien zu geben vermögen. Kurzum: eine vergebene Chance schon auf dieser Ebene.

Unternehmen innerhalb der EU sahen sich in ihrer heurigen Berichtssaison erstmalig damit konfrontiert, die genannten Gesetzesbestimmungen umzusetzen; die ersten Resultate lassen sich bereits auf den Homepages begutachten. Und an dieser Stelle wird die an sich so zukunftsweisende Entwicklung endgültig zu einem Fiasko: In der Praxis herrscht eine unübersichtliche Vielfalt an Zugängen zur Berichterstattung vor, die eine Vergleichbarkeit unmöglich macht und zugleich an den entscheidenden Punkten mehr zu verschweigen denn offenzulegen scheint.

Prüfungen mit Alibi-Charakter

Bei einigen Berichten ist es sogar offensichtlich, dass sie in dieser Form nicht im Sinne des Gesetzes gemeint sein können; besonders deutlich sind hier etwa Defizite im Bereich der Wesentlichkeitsanalyse als Herzstück der neuen Berichtspflichten. Ebenso betroffen sind Auswahl und Darstellung der berichteten Themen oder die dabei gewählten Berichtsgrenzen. Und sogar (vermeintlich) einfachste Gesetzesverweise finden sich in manchen Berichten in falscher oder irreführender Weise gesetzt.

Frappierender Weise ist zu beobachten, dass dennoch viele dieser Berichte einer freiwilligen Prüfung unterworfen wurden - und bis auf wenige Ausnahmen auch ihre Einwandfreiheit testiert erhalten haben. Bei kritischer Betrachtung zeigt sich aber, dass diesen Prüfungen selten mehr als Alibi-Charakter zukam: Prüfungsintensität (primär mit "begrenzter Sicherheit" durchgeführt) und -umfang sind kaum mit jenem einer Jahresabschlussprüfung zu vergleichen. Bedenkt man weiters, dass freiwillige Prüfungen oft deshalb beauftragt werden, um die Verantwortung des Aufsichtsrates für die Sicherstellung der Richtigkeit und Zweckmäßigkeit der Berichterstattung - haftungsmindernd - auf Dritte abzuwälzen, ist zu resümieren, dass diese Zielsetzung scheitert. Denn in allen untersuchten Fällen wurden die erforderlichen rechtlichen Ansprüche nicht erreicht. Es zeigt sich eine gravierende Erwartungslücke.

Dass es auch anders geht, offenbart der Vergleich mit den in Deutschland auf einer ähnlichen Rechtsbasis veröffentlichten Berichten: Die Fallhöhe ist hier in mancherlei Hinsicht eine hohe. Wer als Hauptverantwortlicher für dieses kritische Fazit zu identifizieren ist? Nun, vom bereits angesprochenen hiesigen Gesetzgeber ist man auf dem Gebiet des Bilanzrechts inzwischen Enttäuschungen gewöhnt. Anders verhält es sich im Hinblick auf die berichtspflichtigen Unternehmen selbst, die spätestens seit 2014 von den bevorstehenden Entwicklungen wussten, nicht selten aber zu einem großen Teil erst im Laufe des Jahres 2017 mit entsprechenden Vorkehrungen für die Umsetzung begannen. In Anbetracht der Komplexität eines ernstzunehmenden Nachhaltigkeitsmanagements ein mit so wenig Vorlaufzeit kaum bewältigbares Unterfangen. Hier lagen gravierende Fehleinschätzungen vor.

Was allerdings am kritischsten zu beurteilen ist: Den Unternehmen vermeintlich zu Hilfe kam eine Vielzahl an Beratern und Prüfungsdienstleistern, die hier eine neue Geschäftsmöglichkeit sahen und mit einigem Geschick aus der Not der Praxis (kommerziellen) Nutzen ziehen wollten. Nun sind diese allerdings zugleich maßgeblich in den hiesigen Standardsettern engagiert, die in dem fachlichen Diskurs, vor allem der Gesetzesinterpretation, Deutungshoheit beanspruchen (sich also die "eigene Spielregeln" schaffen).

So konnte dieser Diskurs tatsächlich in eine Richtung gelenkt werden, die aber letztendlich der Sache keinen guten Dienst erwiesen hat: Sogenannte "Facharbeiten" erweckten jüngst bisweilen den Eindruck, intentional im Nebulösen bleiben zu wollen, um so fast jede beliebige Interpretation bei der Rechtsanwendung zuzulassen - und damit den Beratungs-Spielraum zu erhöhen und zugleich die Mühen und Verantwortlichkeiten der Prüfer auf ein komfortables Minimum zu reduzieren.

Kritische Kernfragen ausgespart

Die kritischen und unangenehmen Kernfragen wurden jedoch ausgespart, von sachorientierten "Anwendungshilfen" keine Spur. All dies freilich aus nachvollziehbaren Eigeninteressen, wie selbst Vertreter dieser Berufsgruppen einräumen; oft vielleicht im Sinne einer "Win-win-Situation", obschon entgegen dem Gesetzessinne, in manchen Punkten aber sogar entgegen Interessen der Unternehmen und der Qualität ihrer Berichte (Stichwort: Aufstellungsfrist für den nichtfinanziellen Bericht).

Ein solcher Zustand ist freilich untragbar, bereits im Hinblick auf die umrissene Governance-Problematik dieser Standardsetter. Er ist wohl eine Wurzel vieler der genannten Probleme; die gegenwärtig ganz konkret beobachtbaren Missstände unterstreichen dies. Gegen die nunmehr materialisierten Probleme bieten diese Einsichten keine unmittelbare Abhilfe.

Was immer die künftigen Entwicklungen bringen mögen (und es kann fast nur eine Verbesserung sein): So wird es wohl nichts mit der Rettung der Welt. Dafür müssen sich alle Beteiligten doch etwas mehr anstrengen. Es würde helfen, sich dabei vor Augen zu halten, um welche grundlegenden Zukunftsfragen es hinter den nicht immer ganz angenehmen Berichtspflichten eigentlich geht.

Zum Autor