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Alles nur Theater?

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Historiker werden später einmal, wenn sie denn überhaupt danach suchen sollten, den 10. Jänner 2019 als Startschuss für die Wien-Wahl im Herbst 2020 bestimmen. An diesem Tag konterte Bundeskanzler Kurz die Ankündigung der rot-grünen Stadtregierung, die Umsetzung der Mindestsicherungsreform zu verweigern (Grünen-Chefin Hebein: "Das vorliegende schwarz-blaue Gesetz, der Entwurf, ist menschlich Müll"), mit dem auch nicht unpolemischen Satz "Ich glaube nicht, dass es eine gute Entwicklung ist, wenn immer weniger Menschen in der Früh aufstehen, um zu arbeiten, und in immer mehr Familien nur mehr die Kinder in der Früh aufstehen, um zur Schule zu gehen."

Unnötig zu sagen, dass die Einladung zum Schlammcatchen mit Freude angenommen wurde. Der rot-grüne Teil des Netzes rief sogleich die Bundeshauptstadt zum gallischen Dorf aus, als letzte Bastion vor den Zumutungen einer unliebsamen Bundesregierung. Und wie so oft spielte bei all den Zuspitzungen und Beleidigungen die FPÖ ganz vorne mit, indem Vizekanzler Strache meinte: "Wir haben es mit zwei Modellen zu tun: Auf der einen Seite eine rot-grüne Stadtregierung, die offensiv für ein Förderungsprogramm für tschetschenische Großfamilien eintritt." Immerhin: In der Kategorie der rhetorischen Grenzverletzungen ist die Konkurrenz den Freiheitlichen längst auf den Fersen.

Solange sich alle darauf verständigen können, dass es sich bei dieser rhetorischen Eskalation um die Inszenierung zur Verfolgung politischer Zwecke handelt, sind auch die Mahnungen vor einer bedrohlichen Polarisierung von Land und Leuten unbegründet. Auf Twitter analysierte der Kommunikationsprofi und ehemalige SPÖ-Stratege Josef Kalina den jüngsten Schlagabtausch entspannt: "So funktioniert nun mal Politik: Der Kanzler hat sich einmal (selten genug) emotional aus der Deckung bewegt und wird dafür von der Opposition emotional unter Beschuss genommen. So what?"

Diese Sicht hat viel für sich. Wer einmal beobachten kann, wie sich die Kontrahenten untereinander verhalten, wenn weder Kameras noch Mikrofone mit dabei sind, weiß, dass die politischen Beziehungen in der Regel durchaus belastbar sind. Hinter den Kulissen gedeihen durchaus erstaunliche Beziehungen über den tagespolitischen Grabenkampf hinweg.

Aber wird das auch die nächste Politikergeneration, die jetzt unter dem Eindruck der radikalen virtuellen Polarisierung heranwächst und politisch sozialisiert wird, erkennen und so handhaben? Was, wenn die heutigen jungen Heißsporne die gegenwärtigen Inszenierungen für die soziale wie politische Wirklichkeit halten? Dann hätte unsere Demokratie tatsächlich ein Problem.