Zum Hauptinhalt springen

Das letzte Bollwerk

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Maja Haderlap war keine selbstverständliche Anwärterin auf die Rolle als Festrednerin beim Staatsakt, mit dem die Republik am Montag ihren 100. Geburtstag feierte. Sie zählt nicht zu jener illustren Reihe der Großschriftsteller und Paradeintellektuellen. Entsprechend sprach die Kärntner Schriftstellerin in ihrer Rede von einer "erstaunlichen, kühnen Einladung, die mich ehrt, die mich aber auch in einen unerbittlichen Kreislauf aus Zweifeln geschleudert hat".

Zweifel, das ist ein Gefühlszustand, den sich die öffentlichen Intellektuellen der Republik selten vor Publikum eingestehen. Eher schon dominiert hier Selbstgewissheit.

Das Gros der offiziellen Reden im Ge- und Bedenkjahr 2018 stand im Dienste einer kollektiven Moral und von Appellen an gemeinschaftliche Verantwortung. Mal um unliebsame politische Entwicklungen im Hier und Heute zu geißeln; mal um ehemaligen Gegnern die Hände zur Versöhnung zu reichen. Das "Wir" war stets großgeschrieben.

Damit hat Haderlap in ihrer bedächtigen, fast leise vorgetragenen Rede gebrochen. Stattdessen stellt sie den ethisch handelnden Einzelnen in den Mittelpunkt ihrer Suche nach Antworten, wie sich eine Gesellschaft gegen die Feinde der Freiheit erfolgreich zur Wehr setzen kann.

Auf diese Weise bricht Haderlap damit auch mit der in Österreich besonders weit verbreiteten und auf allen politischen Seiten tief verankerten Sicht, den Staat für alles in die Pflicht zu nehmen. Was schließlich, wenn dieser Staat kein fürsorglich umsorgender und allumfassend beschützender Staat mehr ist, sondern plötzlich selbst damit beginnt, Freiheiten wieder in Frage zu stellen und zurückzustutzen? Es wäre schließlich nicht das erste Mal in unserer Geschichte.

Im Blick hat Haderlap bei diesen düsteren Gedanken die allumfassenden Trends von Ökonomisierung und Digitalisierung, die sie, wenn alle Gegenwehr unterbleibt, als Generalangriff auf die individuelle Autonomie begreift. Eine solche Rangordnung der Werte ist in ihren Augen mit der Idee des ethisch handelnden Einzelnen unvereinbar. Schließlich könnte "die neue Ökonomie gut ohne Menschen auskommen" - und wohl auch ohne Staaten.

Haderlap stimmt mit ihrer Rede in ein altes Motiv der Technologieskepsis ein. Noch fast jeder technologische Durchbruch hat neben Euphorie auch tief sitzende Ängste geweckt. Die Möglichkeiten einer globalen ökonomisierten Digitalisierung sind heute noch gar nicht abzusehen.

So gesehen kommt die Erinnerung an die Verantwortung des Einzelnen als zentraler Akteur der Geschichte gerade recht. Zumal zum 100. Geburtstag eines Landes, dessen Bürger Verantwortung gerne delegieren. Und zwar am liebsten nach oben.