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Von Mördern und Opfern

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Der Mensch ist weder gut noch böse. Wir sind grundsätzlich eine gefährliche Kreatur. Und zwar alle. Allerdings hat nicht jeder Mensch die gleiche Wahrscheinlichkeit, zum Opfer und zum Täter zu werden. Geschlecht, Emotionen, Kultur und Prägung spielen hier eine zentrale Rolle, Materielles eine untergeordnete. Dazu später mehr.

Diese Anthropologie klingt wie aus finsteren Zeiten, tatsächlich ist sie von zeitloser Gültigkeit. Wer das nicht glauben will (oder kann), muss nur durch die Geschichtsbücher blättern. Dass wir über die Jahrtausende zu besseren Menschen geworden wären, ist Wunschdenken, an dem sich schon viele Generationen berauscht haben. Und ebenso oft wurde die Hypothese durch die Wirklichkeit widerlegt.

Dieser Einsicht widerspricht nicht, dass der moderne Staat bei der Befriedung der Menschen Erstaunliches leistet. Die rigorose Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols ist dabei die eine Seite, ein umfassender Sozialstaat die andere. Das Risiko eines gewaltsamen Todes bewegt sich in Europa im Allgemeinen und in Österreich im Besonderen deshalb auf historischen Tiefstständen. Und trotzdem diskutiert das Land über die Ursachen einer erschütternden Serie von Gewaltverbrechen.

Allein im noch jungen Jahr 2019 wurden bereits vier Frauen ermordet, 2018 bewegte sich die Zahl der Frauenmorde in Österreich auf einem Zehn-Jahres-Hoch. Während in anderen Ländern mehr Männer als Frauen gewaltsam getötet werden, ist es hierzulande genau umgekehrt. Und fast immer kannte das Opfer seinen Mörder, der aus Eifersucht oder gekränkter Ehre zum Täter wurde. Die Herkunft beziehungsweise kulturelle und soziale Prägung kommt hier mit ins Spiel: Ausländer, vor allem solche aus dem südosteuropäischen und islamischen Raum, sind unter den Tätern und Tatverdächtigen weit überrepräsentiert.

Vor diesen nüchternen Tatsachen darf eine Gesellschaft nicht die Augen verschließen. Es gilt nun, die Hintergründe wie die Motive jeder Tat zu analysieren, auf dass aus Einzelfällen Strukturen der Gewalt werden, die wiederum mit politischen und strafrechtlichen Mitteln konsequent aufgearbeitet werden müssen. Nicht immer kommt die Gewalt völlig wie aus heiterem Himmel, ohne Vorwarnung und Anzeichen. Der Staat muss deshalb das ihm zur Verfügung stehende Repertoire kritisch überprüfen, ob er auch tatsächlich seine von den Grundrechten vorgegebenen Möglichkeiten nutzt, potenzielle Opfer vor potenziellen Tätern zu schützen.

Die Entscheidungen, die dabei zu treffen sind, sind alles andere als einfach, aber notwendig. Ansonsten ist die Gefahr groß, dass das Gemeinwesen noch höheren Schaden erleidet als ohnehin schon.