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Britanniens Plan B

Von Thomas Seifert

Leitartikel
Thomas Seifert ist stellvertretender Chefredakteur der "Wiener Zeitung".
© WZ

Es ist schon bemerkenswert: Die britischen Konservativen haben das Land mit einer wahnwitzigen Brexit-Abstimmung am 23. Juni 2016 ins Chaos gestürzt. Statt nach dem Verschleiß von bereits zwei Premiers den Weg für eine Parlamentsneuwahl freizugeben, haben die 159.320 konservativen Parteimitglieder den neuen Premierminister für 66,4 Millionen Briten gekürt: Boris Johnson.

Boris, wie er von seinen Fans genannt wird, ist nun Britanniens Plan B. Boris soll den von den Konservativen heiß ersehnten Brexit liefern.

Wie er das machen wird? Für kleinliche Details fehlen dem Mann Geduld und Sachverstand. In einem TV-Interview musste Johnson zugeben, dass er nicht die geringste Ahnung vom internationalen Handelsabkommen hat, das er selbst als Plan B für den Brexit vorschlägt. Seine Fans kümmert das nicht im Geringsten. Hauptsache, Boris bringt sie zum Schmunzeln, Hauptsache raus der EU.

Am liebsten würden die Boris-Verehrer die Britischen Inseln noch heute von der Eurasischen Kontinentalplatte herausbrechen und erst irgendwo mitten im Nordatlantik - weit genug von Brüssel, Berlin, Wien und Lissabon entfernt - wieder festzurren.

Für den Brexit würde eine deutliche Mehrheit der Konservativen mittlerweile laut einer Umfrage von Yougov mittlerweile fast alles hinnehmen: die Wiedervereinigung Irlands, die Unabhängigkeit Schottlands, signifikante Schäden für die britische Wirtschaft und den Zerfall der eigenen Partei. Die Devise heißt offenbar längst: Ein Königreich (nämlich das Vereinigte) für den Brexit.

Gleichzeitig ist die Tatsache, dass die Wahl auf Johnson gefallen ist, ein Zeichen der Dekadenz der britischen Konservativen: Denn der neue Premier
ist ein Hohn auf traditionelle konservative Werte der britischen Gesellschaft. Er ist ein notorischer und wiederholt überführter Lügner, ein Scharlatan, die personifizierte Unernsthaftigkeit und das Gegenbeispiel des sprichwörtlichen britischen Gentleman.

Einem Bericht des "Spiegel" zufolge nannte der ehemalige liberale Vizepremier Nick Clegg Johnson einmal "einen Donald Trump mit Wörterbuch". Der britische "Economist" - weit davon entfernt, ein Kampfblatt der Opposition zu sein - sieht weitere Parallelen zwischen den beiden Bombast-Politikern Trump und Johnson: "Narzissmus, Faulheit und die Tendenz, Schwarz zu Weiß und Weiß zu Schwarz zu erklären."

Nach Donald Trump ist Boris Johnson nun der zweite lebende Beweis für eine tiefe politische und moralische Krise der beiden herausragenden Nationen der Anglosphäre.

Die Europäische Union ist gut beraten, Johnson keinen Millimeter entgegenzukommen. Boris hat keinen Plan B, er blufft.