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Tücken des Kantersieges

Von Simon Rosner

Leitartikel

Sebastian Kurz hat in der Schlussphase des Wahlkampfes eine alte eigene Idee aus dem Jahr 2012 ventiliert, als er noch JVP-Obmann war: ein mehrheitsförderndes Verhältniswahlrecht. Wenn der Erste immer einen Mandatsbonus erhielte, der Koalitionen mit allen anderen Parteien ermöglichte, wäre die Regierungsbildung leichter. Nie mehr müssten Parteien koalieren, die einzig von der Arithmetik, nicht aber durch Ideologie und Inhalte zusammengehalten werden.

Nun ist Kurz beinahe dort angelangt, und zwar ohne neues Wahlrecht, dafür mit 37,5 Prozent. Nur mit den Neos geht es sich rechnerisch nicht aus. Leichter ist die Regierungsbildung deshalb aber nicht. Im Gegenteil, sie ist so schwierig wie selten zuvor.

Die Ursache dafür ist nicht nur, aber auch im großen Vorsprung der ÖVP zu finden. Denn diese Konstellation macht eine Koalition auf Augenhöhe kaum möglich. Und warum sollte die ÖVP, die nun genauso viele Mandate hat wie SPÖ und FPÖ zusammen, die Hälfte der Ämter und inhaltlichen Positionen abgeben? Egal, wen sich Kurz am Ende in die Regierung holt, mehr als vier Ministerien werden es für den Juniorpartner nicht werden. Und bei den Inhalten wird es für diesen auch kein Wünsch-dir-was geben.

Hinter einer Koalitionsentscheidung steckt immer eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Was bringt uns eine Regierungsbeteiligung? Was können wir umsetzen? Eventuell auch: Welche Posten können wir vergeben? Auf der anderen Seite steht der Preis, den eine Partei zahlen muss, weil sie in einer Koalition etliches, das sie gefordert hat, für das sie steht und was der Anhängerschaft wichtig ist, nicht umsetzen kann. Der Preis ist höher, je kleiner eine Partei ist.

In der Zweiten Republik gab es auf Bundesebene auch nur zweimal eine Koalition von zwei ungleichen Partnern. Zweimal war es die FPÖ, die jedes Mal massive Probleme bekam und sich 2005 sogar deshalb spaltete.

Diese Erfahrung war sicher auch ein Grund, weshalb es der FPÖ diesmal so wichtig war, ständig zu betonen, man sei auf Augenhöhe mit den Türkisen und habe "75 Prozent" der eigenen Forderungen durchgebracht beziehungsweise teile sie mit der ÖVP. In den Ländern kann eine ungleiche Partnerschaft offenbar funktionieren, weder die Grünen im Westen noch die Blauen im Osten leiden darunter. Doch kann es im Bund funktionieren? Die bisherige Erfahrung ist da nicht sonderlich positiv. Für die Grünen ist es wohl noch deutlich problematischer, weil die inhaltliche und rhetorische Distanz zu Türkis größer ist als bei der FPÖ, die eben erst mit der ÖVP koaliert hat. Und mit 37,5 Prozent wird eben die ÖVP den Grünen nicht sehr weit entgegenkommen können. Doch was bedeutet es für die FPÖ, falls sie diesmal nicht 75 Prozent, sondern nur 30 Prozent durchbringt? In eine Koalition zwingen kann man halt niemanden. Auch nicht mit 37,5 Prozent.