Zum Hauptinhalt springen

Post-Corona-Agenda

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Europa hat nach der Krise eher mehr als weniger zu tun.


Krisen sind vor allem ein großes Unglück. Sie vernichten unnötig Menschenleben und Wohlstand. Das Beste, was sich noch von ihnen sagen lässt, ist, dass sie uns wenigstens - als Gesellschaft wie als Individuen - hoffentlich klüger machen. Immerhin werden unter ihrem Druck, gleichsam wie bei einem Brennglas, die Mängel unserer Systeme klar sichtbar.

Europa ist es in der Vergangenheit gelungen, mehr als seinen Mitgliedstaaten, aus Krisen zu lernen und diese für die eigene Weiterentwicklung zu nutzen. Es spricht alles dafür, dass dies auch in dieser Krise der Fall sein wird.

Diese Pandemie wird zu allererst die medizinischen Benchmarks für ein leistungsfähiges Gesundheitssystem neu ausrichten; zu hoffen ist, dass die Bürger in jenen Staaten, wo sich Zusammenbruch und Überforderung zeigen, Rechenschaft von ihren Politikern einfordern.

Die 27 EU-Staaten haben in dieser Krise nach 27 eigenen Strategien gefahndet, um die Folgen einzudämmen. Das war so unvermeidbar und notwendig wie naheliegend. Die Bandbreite zwischen Erfolg und Desaster ist dabei so enorm wie erschreckend, obwohl es unzulässig ist, bereits jetzt Noten zu verteilen, schließlich kann das Virus jederzeit mit neuer Wucht zurückkehren. Eine Krise wie diese verlangt nach entschlossenem Mikro- und koordinierendem Makromanagement. Das wird auch künftig die Rollenverteilung zwischen nationaler und europäischer Ebene bestimmen. Zu einer neuen europäischen Angelegenheit wird es deshalb gehören, die Krisen- und Notfallpläne für die gesamte Union auf den neuen Post-Corona-Standard zu bringen.

Das Virus entlarvt auch seit Jahren beschworene Politikschwerpunkte als hohle Politikfloskeln. Die EU ist, trotz aller Beschwörungen, immer noch meilenweit von einer schlüssigen Industriepolitik entfernt. Die jetzige Krise zeigt die Defizite schmerzhaft auf: Über Wochen schafft es die Ursprungsregion der Industrialisierung nicht, simple medizinische Schutzausrüstung für den eigenen Bedarf zu produzieren.

Und am Höhepunkt einer Krise zeigt sich schließlich auch, wo die Schmerzgrenzen für das Zusammenleben liegen. Der hartnäckige Widerstand von Staaten wie Deutschland, den Niederlanden und Österreich gegen die Vergemeinschaftung von Schulden über Eurobonds kann man natürlich als Verweigerung von Solidarität moralisch kleinreden. Doch dahinter steht eine real existierende Kluft in Europa über die Grundlagen einer verantwortungsvollen Finanzpolitik, die nicht nur Eliten, sondern auch Bevölkerungen trennt. Eine Krise ist eher selten der richtige Moment, eine ideologische Fahnenfrage gegen Widerstand zu erzwingen, zumal es genügend pragmatische Alternativen gibt.