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Das Geschlecht der Krise

Von Judith Belfkih

Leitartikel

Auch die Krise hat ein Geschlecht - ein biologisches und ein soziales.


Die Krise hat ein Geschlecht. Genau genommen sogar zwei. Und sie trifft diese beiden Geschlechter mit ungleicher Wucht. Zum einen hat die Coronavirus-Krise ein biologisches Geschlecht - das ist in vielen Ländern männlich. Nicht nur in Österreich haben Männer ein deutlich höheres Risiko an einer Infektion mit dem Coronavirus schwer zu erkranken und zu sterben. Mit 55 zu 45 Prozent wies die Statistik Austria die Geschlechterverteilung unter den Covid-19-Todesfällen in Österreich zuletzt aus. Andere Staaten vermelden noch deutlichere Unterschiede.

Doch die Krise hat nicht nur ein biologisches, sondern auch ein soziales Geschlecht - und das ist ganz klar weiblich. Die durch die aktuelle Corona-Wirtschaftskrise gestiegene Arbeitslosigkeit hält sich bei Frauen im Moment viel hartnäckiger als bei Männern. In der Pflege, im Handel und etwa in der Elementarpädagogik arbeiten vor allem Frauen in epidemologisch exponierteren Positionen. Im Privaten fallen viele Paare und Familien in überholt geglaubte Rollenbilder zurück: Frauen haben hier im und seit dem Lockdown einen Großteil der Zusatzarbeit in den Bereichen Kinderbetreuung und Homeschooling übernommen - oft parallel zum Homeoffice. Der aktuell zu beobachtende Anstieg häuslicher Gewalt trifft ebenfalls Frauen härter.

Der Corona-Krise wohnt ein doppelter Sexismus inne, also die Benachteiligung einer Gruppe aufgrund ihres biologischen Geschlechts. Sie erweist sich dabei in vielen Bereichen als eine Art Brennglas für bestehende Benachteiligungen. Was zuvor ungleich verteilt war, ist es jetzt noch deutlicher - die fehlende Chancengleichheit der Geschlechter ist hier keine Ausnahme. Steigen die Zahlen so rasant wie dieser Tage und zeichnet sich eine Verschärfung der Maßnahmen oder gar ein zweiter Lockdown ab, verstärkt das die Schieflage.

Der biologische Sexismus des Coronavirus, die Benachteiligung der an Covid-19 erkrankten männlichen Patienten, ist nur wissenschaftlich zu lösen: mit einer Impfung oder einem Medikament. Der soziale Sexismus der Krise, nämlich die unverhältnismäßig stärkere Wucht, mit der sie das Leben vieler Frauen trifft, lässt sich politisch abfedern - mit klug gesetzten weiteren Maßnahmen.

Den Rückschritt, den Frauen in der Corona-Zeit erfahren, einfach als Kollateralschaden hinzunehmen, ist langfristig problematisch. Ihre Benachteiligungen werden nicht mit einer Impfung vorbei sein. Ganz im Gegenteil: Sie sind ein Hemmschuh, der
den sehnlichst herbeigesehnten sozialen und wirtschaftlichen Neustart nach Corona massiv bremsen wird - für die gesamte Gesellschaft.