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Neue Hierarchie in der Regierung

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Die Nominierung Martin Kochers verschafft der Regierung die Chance auf einen Neustart.


In dieser Krise kann diese Regierung, kann jede Regierung, Fachwissen dringend gebrauchen. Bei der Zusammenstellung der Ministerliste von Türkis-Grün galt noch eine andere Zeitrechnung, wirtschaftlich war alles Sonnenschein, ein stabiler Arbeitsmarkt, ein stabiles Wachstum, sinkende Staatsschulden.

Die Pandemie hat all das über den Haufen geworfen. Die Republik Anfang 2021 bedeutet: Rekordabsturz der Konjunktur, Rekordarbeitslosigkeit, rasant wachsende Staatsschulden und ein im Zusammenspiel mit der Digitalisierung rasant beschleunigter wirtschaftlicher Strukturwandel mit noch unabsehbaren Folgen.

Mit der schnellen Nominierung des Verhaltensökonomen Martin Kocher, dem Chef des Instituts für Höhere Studien, als Nachfolger für die wegen einer Plagiatsaffäre zurückgetretene Arbeitsministerin Christine Aschbacher ist der Bundeskanzler über seinen Schatten gesprungen, ohne sich selbst ganz untreu zu werden.

Kocher wird ab sofort ein Schwergewicht in dieser Regierung sein; nicht politisch, sondern aufgrund seiner Expertise, an die in wirtschaftlichen Fragen niemand in der Ministerriege heranreicht. Und nichts braucht diese Regierung jetzt dringender als anerkanntes Wirtschaftswissen. Die Berufung Kochers verschiebt die Hierarchien in der Regierung. Und die gute Nachricht ist: Expertise ist dafür verantwortlich, nicht Verbindungen.

Der neue Mann an einer zentralen Stelle verschafft der zusehends in die Defensive geratenen Koalition die Chance, gerade noch rechtzeitig ihr maues wirtschaftspolitisches Profil erheblich zu stärken. Das ist nicht zuletzt für die selbsterklärte Wirtschaftspartei ÖVP dringend geboten.

Treu ist sich Kanzler Sebastian Kurz darin geblieben, dass er erneut einen Minister ohne eigene politische Hausmacht beruft. Am Chefprinzip wird also nicht gerüttelt. Dabei gibt die Verfassung den Ministern weitgehend freie Hand, was ihren eigenen Zuständigkeitsbereich angeht. Das hat früher durchaus zu Obstruktion innerhalb von Koalitionen geführt, jetzt würde man sich mitunter mehr Minister und Ministerinnen wünschen, die über ein eigenes politisches Profil und eigene Ideen verfügen.

Noch ein Wort zu Christine Aschbacher: Ihr Rücktritt war unausweichlich. Dass er so schnell erfolgte, ist ein Segen für sie persönlich wie für das Land angesichts der zu bewältigenden Herausforderungen. Was bisher über die Qualität ihrer akademischen Abschlussarbeiten bekannt wurde, hätte jede politische Arbeit verunmöglicht. Hinzu kommt ein himmelschreiender Mangel an politischem Gespür: Eine Dissertation im Super-Krisenjahr 2020? Und dann solche haarsträubenden Texte in einer Zeit, in der jede Person des öffentlichen Interesses wissen muss, dass sie im Visier aller möglichen Aufdecker steht?

Schließlich werden sich auch die Fachhochschulen einige drängende Fragen gefallen lassen müssen, wie sie es mit den akademischen Qualitätsstandards ihrer Absolventen halten.