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Vor der Triage

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Die Solidarität, ohne die eine Pandemie nicht zu bekämpfen ist, ist unübersehbar am Zerbröseln.


Am Dienstag haben die Salzburger Landeskliniken, bürokratisch vorschriftsgemäß, per "Überlastungsanzeige" mit den politischen Verantwortlichen auch die Öffentlichkeit darüber informiert, dass eine Notsituation unmittelbar bevorsteht. Dazu gehört auch die Bildung sogenannter Triage-Teams aus Medizinern und Juristen, die, wenn es so weit ist, entscheiden, wer von den Intensivpatienten noch eine Behandlung erhält - und wer wegen fehlender Kapazitäten nicht. In Oberösterreich ist die Lage unwesentlich besser, überall sonst sind es zumindest die Normalstationen, die an und jenseits der Belastungsgrenze arbeiten.

Wer glaubt, dieses Lagebild führe dazu, dass die Politik zusammenrücke und Differenzen hintanstelle, verdrängt das Ausmaß an Dysfunktionalität, das die Politik erfasst hat. Dabei ist es mehr als nur legitim, der Regierung ihre Fehler vorzuhalten und, wie es die FPÖ im Nationalrat getan hat, einen Misstrauensantrag gegen ÖVP und Grüne einzubringen. Die Kampagne der Freiheitlichen gegen die Impfung und deren belegte Wirkung ist es nicht.

Ohne die dramatische Zuspitzung der vierten Welle für das Gesundheitssystem in Österreich wäre die Wahrscheinlichkeit hoch gewesen, dass die Corona-Pandemie eher keine oder jedenfalls nur geringe bleibende Spuren im politischen Gedächtnis einer kritischen Masse der Menschen im Land hinterlassen würde (in Fragen der öffentlichen Infrastruktur und der Vorbereitung auf künftige ähnliche Krisen aber hoffentlich sehr wohl). Doch das könnte nach den Erfahrungen dieses Herbstes anders sein.

Eine vierte Welle war unvermeidlich, das zeigt sich auch in den steigenden Fallzahlen jener Länder mit den höchsten Impfquoten, ihr Ausmaß in Österreich war es nicht. Allerdings ist längst nicht ausgemacht, wer dafür zur Rechenschaft gezogen wird. Die Solidarität der Gemeinschaft, ohne die eine Pandemie nicht zu bekämpfen ist, ist unübersehbar am Zerbröseln. Im großen Ganzen, aber auch im Kleinen, nicht einmal mehr die Bundesregierung fühlt sich im Inneren an dieses Gebot gebunden.

Die Ursachen für diese Entwicklung werden der Stoff sein, mit dem sich hoffentlich die Gesellschaftswissenschafter der nächsten Jahre auseinandersetzen. Statt eine gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung zu mobilisieren und zu organisieren, gestatten sich die politischen Parteien am Höhepunkt dieser Krise, aus Reflex oder Berechnung in den Wahlkampfmodus zu verfallen. Das ist so unverständlich wie unverzeihlich. Streit ist dabei nicht das Problem, der ist unerlässlich in der Demokratie. Die Unterlassung von Lösungen ist es.