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Die Diktatur der Schwurbler

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Schön langsam geht den Geimpften das Geimpfte auf.


Die EU-Kommissionspräsidentin eröffnet die Debatte über eine EU-weite Impfpflicht. Eine einheitliche Linie innerhalb der EU sei vernünftig, sagt sie, fügt aber im selben Atemzug hinzu, dass die Frage der Impfpflicht alleinige Sache der Mitgliedstaaten sei. Denn Ursula von der Leyen weiß: Das wird kompliziert. Ein Blick auf die Impfstatistik offenbart - bei einigen Ausreißern - einen tiefen Ost-West-Graben. Bulgarien ist das traurige EU-Schlusslicht - mit erwartbaren Resultaten: Das Sieben-Millionen-Einwohner-Land hat mit rund 28.500 Covid-Toten mehr als doppelt so viele zu beklagen wie Österreich bei neun Millionen Einwohnern. Die Fakten sprechen für sich: In Ländern mit hoher Durchimpfungsrate verläuft die vierte Welle bisher eher mild: Malta, Spanien und Portugal blieben bis dato halbwegs verschont, Dänemark und Irland weisen deutlich niedrigere Fallzahlen auf als Österreich.

Was ist bei den Impfnachzüglern schiefgelaufen? Die Politisierung der Pandemie hat zweifellos dazu beigetragen, dass Menschen ihre Impfverweigerung als politisches Statement sehen. In Österreich erklärte der damalige Kanzler Sebastian Kurz das Impfen im Jänner 2021 zur "Chefsache" - das hätte er besser Medizinern, Virologinnen und Immunologinnen überlassen.

Ganz anders in Portugal oder Dänemark: In Lissabon schlüpfte ein Militär in die Rolle des Impfzampanos, in Kopenhagen zeichnet die Gesundheitsbehörde für die Impfkampagne verantwortlich.

Dazu kommt, dass rechtsextreme und rechtspopulistische Gruppierungen und Parteien sich in vielen Ländern ins Lager der Schwurbler, Corona-Leugner und Impfgegner geschlagen haben. Ein zynischer Schachzug: Das Islam- und Ausländer-Thema hat derzeit wenig Zugkraft, also macht man gegen Wissenschaft und Medizin mobil. Bis - wie im Fall der FPÖ - auch noch der letzte Spitzenfunktionär an Corona erkrankt ist.

Tatsächlich ist nun eine sich zuspitzende Spaltung der Gesellschaft zu beobachten: Denn langsam geht den Geimpften das Geimpfte auf. Während Impfgegner mit Schildern wie "Diktatur stoppen" durch die Straßen marschieren, leidet die Mehrheit der Bevölkerung unter dem Diktat der Impfzauderer: Lockdown, verschobene Eingriffe in den Spitälern, völlig erschöpftes Spitalspersonal, Wirtschaftskrise, prolongierter Ausnahmezustand.

Nachdem man es mit Impflotterien, 3G-, 2G- und 2Gplus-Regeln versucht hat, mit Werbekampagnen und anderen Anreizen, setzen immer mehr Regierungen in der EU nun darauf, ihre Bürger zur Covid-Impfung zu verpflichten. Man kann davon ausgehen, dass die EU-Kommissionspräsidentin froh darüber ist, dass diese Frage nicht in die Kompetenzen der EU fällt.