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Schuldige gesucht

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Österreich rechnet erneut mit seiner Vergangenheit ab. Wie konnte uns das mit Putin nur passieren?


Österreich rechnet, wieder einmal, mit seiner Vergangenheit ab. Dabei ist es unvermeidlich, dass sich die Gegenwart an die Altvorderen wendet mit der Frage, wie es so weit kommen konnte. Mit der vollen Autorität, die die Weisheit im Rückblick aufzubieten vermag.

Dieses Mal geht es um Österreichs Beziehungen mit Russland, indem über deren Architekten, Baumeister und Nutznießer zu Gericht gesessen wird. Tatsächlich finden sich einige Auffälligkeiten: Österreich hat sich freiwillig in eine stärkere Abhängigkeit von russischen Energieimporten begeben, als es notwendig und - jedenfalls nach den Maßstäben vorsichtigen Wirtschaftens - ratsam war. Die Rechnung bekommen wir gerade präsentiert.

Wie so oft interessiert dabei in Österreich weniger die lange Vorgeschichte, die mit der Rolle Russlands als Rechtsnachfolger der Sowjetunion verbunden ist, die erst Kriegsgegner, sodann Befreier und Besatzer sowie schließlich Signatarmacht des Staatsvertrags war. Wie viel von dieser Abhängigkeit war zu welchem Zeitpunkt vielleicht unvermeidbar, wie viel von der Vernunft geboten? Und wie groß ist der Anteil, der auf freiwillige Entmündigung entfällt, sei es aus mangelndem Verständnis oder aus maximaler Profitorientierung Einzelner oder ganzer Gruppen?

Daraus könnte sich eine spannende Debatte entwickeln, die möglicherweise auch Erkenntnisse und Orientierung für heutige wie künftige Entscheidungsträger bereithielte. Stattdessen reduzieren wir die Suche nach Ursachen für die begangenen Fehler auf die Vergabe von individuellen Haltungsnoten heimischer Spitzenrepräsentanten im Umgang mit dem russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin.

Die nun recht einsam in der Kritik stehenden Akteure verkörperten allerdings einen über Jahrzehnte bestehenden Konsens des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Establishments. Und keineswegs nur in Österreich. Unter Linken galt die Devise "Wandel durch Annäherung" (Kapitalisten haben das mit "Wandel durch Handel" übersetzt), mit der der deutsche Ex-Kanzler Willy Brandt seit den 1960ern seine neue Ostpolitik umsetzte, als historische Wende und von tadelloser Moral.

Das hat sich, jedenfalls in Bezug auf Putins Russland, vorerst erledigt. Aber nur für diesen Fall oder ganz generell, wenn Staaten das Völkerrecht brechen und Angriffskriege führen? Können und wollen wir auch die damit verbundenen Folgen tragen? Wie verhindern wir allzu große einseitige Abhängigkeiten? Wir sollten uns nicht mit Haltungsnoten zufriedengeben.