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Verqueres Bewusstsein

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Woher kommt der seltsame Unwille der heimischen Politik, wichtige Themen auch als wichtig zu behandeln?


Womöglich hat es etwas mit der Kleinheit des Landes zu tun und seiner geringen Bedeutung - der Österreich-Denker Jörg Mauthe erlaubte sich einst das Wortspiel, dass es neben der Levante auch die Irrelevante gebe, also die Alpenrepublik. Was das Selbstverständnis der Politik angeht, hat das einiges für sich. Nur mit dem Bewusstsein, dass "es auf uns eh nicht ankommt", kann es sich ein Politikbetrieb erlauben, die Themen seiner Debatten weitgehend losgelöst von ihrer Relevanz zu bespielen.

Am leidenschaftlichsten und ausdauerndsten werden in der Innenpolitik alle Fragen hin- und hergewälzt, die sich personalisieren und moralisieren lassen. Themen, die "nur" wichtig sind, aber sich aufgrund ihrer Komplexität nicht in das simple Schema einer Parteipolitisierung pressen lassen, ist nur ein relativ kurzes Leben in den Schlagzeilen vergönnt.

Das zeigt sich auch jetzt vor dem Hintergrund des russischen Krieges in der Ukraine: Existenzielle Fragen von Sicherheit und Verteidigung treiben die "classe politique", die neben den Politikern auch Medienmenschen, Einflüsterer und sonstige Multiplikatoren umfasst, vor allem dann um, wenn sie sich, egal von welcher Seite, politisch instrumentalisieren lassen. Darüber hinausgehende grundsätzliche Aspekte finden kaum kontinuierliche Aufmerksamkeit.

Vergleichbares gilt für andere zentrale Fragen, seien es Zuwanderung und Integration, Wohnen, Raumplanung, die Unkultur des öffentlichen Datenmanagements, die europäische Verortung des Landes, Mängel des Wirtschaftsstandorts oder eine klare Regelung von Unvereinbarkeiten und Unzulässigkeiten aller Art. Verlässlich braucht es einen "Schuldigen" oder "Schurken", der sich anklagen lässt, ohne dass sich dabei jedoch an den grundsätzlichen Missständen etwas bessern würde. Es genügt den Beteiligten hinreichend, im Spiel der Parteien gegeneinander gepunktet zu haben.

Über die tieferliegenden Ursachen lässt sich trefflich streiten, die Erzählung reicht mit Sicherheit bis nach Kakanien zurück, mitsamt dem Hinweis, dass schon die alte Monarchie an dem ihr eigenen Unernst im Angesicht einer nicht zum Spaßen aufgelegten Realität gescheitert sei. Als letzte große Kampfansage an diese urösterreichische Neigung kann getrost der EU-Beitritt 1995 betrachtet werden. Und sogar dieser Kampf kam nicht ohne "Blutjoghurt" und "Ederer-Tausender" aus.

Frustrierend ist, dass die Politik mehr denn je um sich selbst kreist. Daran hat nicht einmal die Rückkehr des Krieges in unsere Nachbarschaft etwas geändert.