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Mehrdeutigkeit als Trumpf

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Der Konflikt um Taiwan birgt das Risiko eines Weltkriegs. Damit sollte auch Biden nicht spielen.


Auf eine einfache Frage erwarten sich die meisten Menschen eine ebenso einfache Antwort. Nur die Politik hat da ihre eigenen Regeln, weil sie nach einer anderen Logik funktioniert. Einer, die Festlegungen und fixe Verpflichtungen scheut wie der sprichwörtliche Teufel das Weihwasser.

Ein Verhalten der absichtlichen Mehrdeutigkeit, auf Englisch "strategic ambiguity", zielt darauf ab, einen anderen Staat bewusst im Unklaren über die eigene Reaktion auf ein bestimmtes Verhalten zu lassen.

Längst nicht das einzige, aber das für den Weltfrieden unzweifelhaft wichtigste Beispiel einer solchen strategischen Mehrdeutigkeit ist der Umgang der USA mit Taiwan. Zwar unterstützt man in Washington die Ein-China-Politik, nach der der demokratische Inselstaat Teil Chinas ist, lehnt aber eine Wiedervereinigung gegen den Willen der Taiwanesen ab. Die offene Frage liegt für Peking darin, ob die USA tatsächlich wegen eines kleinen Eilands mit 25 Millionen Einwohnern vor Chinas Küste den bewaffneten Konflikt mit dem kommunistischen Regime des Riesenreichs suchen. Immerhin zählt die Vermeidung eines Krieges mit China ebenfalls zu den Zielen der US-Außenpolitik.

Bei seinem Besuch in Japan hat US-Präsident Joe Biden nicht zum ersten Mal diese eherne Regel der US-Außenpolitik gebrochen, als er erklärte, die USA würden Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs auch militärisch verteidigen. Bereits im Oktober 2021 bekräftigte Biden diese Haltung. Und noch jedes Mal musste im Weißen Haus die Feuerwehr ausrücken und betonen, dass sich an der offiziellen Linie der USA nichts ändere.

Tatsächlich führt Bidens wiederholter Versuch strategischer Klarheit nur zu noch größerer Unsicherheit, was wiederum das Risiko einer direkten Konfrontation zwischen China und den USA steigert. Denn die Ungewissheit, ob die mächtigen USA im Fall des Falles wirklich eingreifen, soll nicht nur Peking von einem Angriff abhalten, sondern auch Taiwan von einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung, die für China eine rote Linie darstellt.

Eine Politik der absichtlichen Mehrdeutigkeit im strategisch enorm bedeutenden Südchinesischen Meer ist nicht perfekt. Aber für den Moment ist sie das beste Rezept, um ein fragiles Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Was Biden mit seiner wiederholten Andeutung eines Strategiewechsels bezweckt, bleibt deshalb sein Geheimnis. Ein Krieg um Taiwan würde den Angriff Russlands auf die Ukraine im Handumdrehen zu einem Nebenschauplatz degradieren. Die Furcht vor dem Einsatz von Nuklearwaffen und einem Dritten Weltkrieg ist hier tatsächlich ein realistisches Szenario.