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Krisen als Orbans Chance

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Die EU benötigt Geschlossenheit inmitten all der Krisen. Ungarns Premier nutzt das für sich aus.


Spanien drohte mit einer Blockade des Brexit-Deals wegen Gibraltar, Italien wegen des EU-Finanzrahmens, Österreich nutzt gerade Schengen als Hebel für eigene Sorgen und Ungarn die EU-Pläne für eine globale Mindeststeuer sowie Finanzhilfen für die Ukraine. Diese Beispiele sind kaum zu vergleichen und haben doch einen Nenner: Dass EU-Staaten ihr Vetorecht für ihre Interessen nutzen. Das können vitale nationale Angelegenheiten sein, oft sind sie es nicht. Darin liegt die Crux.

Im konkreten Fall nimmt Ungarns Premier Viktor Orban wichtige Anliegen der Union in Geiselhaft, weil er den Auszahlungsstopp von gemeinschaftlichen Förderungen und Corona-Hilfen durch die EU-Kommission wegen Verstößen gegen das Rechtsstaatlichkeitsprinzip verhindern will. Dabei geht es um 13,3 Milliarden Euro, eine Summe, die seine Regierung dringend braucht, um ihren Bürgern einen potenten und großzügigen Staat vorzugaukeln.

Ohne die üppigen Subventionen aus Brüssel hätte Orban seine fast umfassende Herrschaft nie in dieser Form finanziell aufrechterhalten können. Dass Orban und die Seinen trotzdem nicht bereit sind, sich an die europäischen Spielregen zu halten, versteht sich von selbst. Der autoritär angehauchte Langzeit-Premier ist ein Meister darin, den Hang europäischer Politik zum Kompromiss als Hebel zu nutzen.

Also reicht er stets im letzten Moment den kleinen Finger. Dass es der EU-Kommission bei Grundwerten und Rechtsstaatlichkeit um unverhandelbare Prinzipien geht, ja gehen muss, hält Orban nicht davon ab, auch diese in einen Basar zu verwandeln. Und der Rat der EU-Regierungschefs ist dafür verlässlich ein empfänglicher Partner. Weil oft schon die Androhung eines Vetos reicht, dass sich alle anderen um Auswege bemühen.

Es ist oft billig, einfach die Abschaffung des nationalen Vetos in den zentralen Bereichen Besteuerung, Finanzrahmen sowie Sicherheits- und Außenpolitik zu fordern. Konsens hat einen Wert an sich, insbesondere in einem so einmaligen Politikexperiment wie der EU. Doch mit bald 30 Mitgliedern und mehr ist Einstimmigkeit Illusion, auch ohne Problembären wie derzeit Ungarn und auch Polen.

Allerdings: Noch ist das Veto Realität. Zugleich ist Geschlossenheit und Entscheidungsstärke angesichts all der Krisen wichtig wie nie. Orban erkennt das zu Recht als Chance. Der EU-Rat muss auf dieses Dilemma eine Antwort finden. Auch hier bräuchte es eine Demonstration der Geschlossenheit gegenüber der Regierung in Budapest. Doch inmitten der Krisen ist das noch schwerer als sonst schon. Die EU ist nicht für Entweder-oder konstruiert, sondern für ein Sowohl-als-auch. Orban freut’s.