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Segen Sozialpartnerschaft

Von Thomas Seifert

Leitartikel

In Deutschland wird gestreikt. In Österreich reden die Sozialpartner miteinander.


"Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will" ist bis heute das Kampflied der Arbeiterinnen und Arbeiter schlechthin. Auf deutschen Eisenbahngleisen werden die Räder von Sonntagabend um 22 Uhr bis Dienstag um 24 Uhr für 50 Stunden stillstehen. Ein neuer Warnstreik im deutschen Bahnverkehr: Der Fernverkehr wird in diesem Zeitraum komplett eingestellt, und auch auf den Regionalstrecken werden kaum Züge fahren.

Es geht natürlich ums Geld, die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG, in der die insgesamt 230.000 Beschäftigten der Bahnunternehmen organisiert sind, fordert 12 Prozent mehr Lohn, die Deutsche Bahn hält dies für überzogen.

Die Bahngewerkschaft sitzt freilich an einem langen Hebel. Streikt die Deutsche Bahn schon wieder, dann entstehen neben dem Schaden für die Bahn auch hohe volkswirtschaftliche Kosten: Lieferkettenprobleme im Güterverkehr, Pendler, die nicht oder zu spät zu ihren Arbeitsstätten, Schülerinnen und Schüler, die nicht oder zu spät in ihre Klassenzimmer kommen. Das alles vor dem Hintergrund des 49-Euro-Deutschland-Tickets, das Kanzler Olaf Scholz erst vor kurzem mit Pomp und Trara am Steuer eines gelben Busses der Berliner Verkehrsbetriebe angepriesen hat.

Zudem können die Eisenbahner trotz der massiven Disruption des Lebens von Millionen Bahnkunden in Deutschland durchaus mit Sympathie rechnen: Die Inflation nagt an den Ersparnissen der Menschen, somit gibt es durchaus Verständnis für Arbeitskämpfe.

Der jüngste deutsche Arbeitskampf sollte zum Nachdenken über die österreichische Traditionsinstitution Sozialpartnerschaft anregen.

Denn das System, das in der Vergangenheit immer wieder kritisiert wurde, zeigt in wirtschaftlich harten Zeiten durchaus seine Vorteile. Ist es nicht klüger, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Verteilung der Früchte der Wertschöpfung einerseits und der Kosten des Gemeinwesens andererseits am grünen Tisch ausverhandeln, anstatt sie im Arbeitskampf zu erstreiten? Ist es nicht vernünftig, wenn starke Gewerkschaften dafür sorgen, dass die erzielten Gewinne auch fair zwischen jenen, die sie erarbeiten, und jenen, die sie einstreifen, aufgeteilt werden? Und ist es nicht gleichzeitig auch im Interesse der Sozialpartner, wenn starke Unternehmen leistungs- und konkurrenzfähig sind und somit für gute Löhne und Gehälter und attraktive Arbeitsplätze sorgen?

In den vergangenen Jahren jagte ein Börsenfeuerwerk das andere, die Renditen der Unternehmen entwickelten sich prächtig. Nun, in Zeiten hoher Inflation, werden die Gewichte zwischen Arbeit und Kapital neu austariert.