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Herren, nicht Diener

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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"Wir haben den Klubzwang, das ist ein Faktum." Das sagte kürzlich eine hoffnungsfrohe Jungabgeordnete einer bisherigen und wohl auch künftigen Regierungsfraktion, vom ORF interviewt, wie sie es denn halten werde, wenn eine Gesetzesvorlage gegen ihre eigenen Wertmaßstäbe verstoßen sollte.

Aus diesem Anlass und gerade noch rechtzeitig zur Angelobung der 183 Abgeordneten des neu gewählten Nationalrats einige praktische Orientierungshilfen für das künftige Verhalten als Volksvertreter:

Erstens, die Gesetzgebung des Bundes übt überraschenderweise nicht die Regierung, sondern "der Nationalrat gemeinsam mit dem Bundesrat aus". Wer es nicht glaubt, kann es in der Verfassung nachlesen (B-VG, Art. 24).

Zweitens, "die Mitglieder des Nationalrates und die Mitglieder des Bundesrates sind bei der Ausübung dieses Berufes an keinen Auftrag gebunden." (Art. 56) Übersetzt heißt das: Der Klubzwang mag vielleicht gelebte politische Praxis sein, ja ist wahrscheinlich sogar notwendig für einen geordneten politischen Prozess im Alltag. Er ist aber eben kein Faktum; ansonsten könnte man ja gleich mit sechs Mandataren, einen für jede Partei, das Auslangen finden.

Drittens schließlich, weil nicht nur die Regierung mitunter verwechselt, wer jetzt im politischen Geschäft der eigentliche Chef ist: "Versagt der Nationalrat der Bundesregierung oder einzelnen ihrer Mitglieder durch ausdrückliche Entschließung das Vertrauen, so ist die Bundesregierung oder der betreffende Bundesminister des Amtes zu entheben." (Art. 74)

Summa summarum wäre es deshalb ein schöner Gewinn für die politische Kultur in diesem Land, wenn die Damen und Herren Abgeordneten nicht gleich schon beim Eingang ihr Selbstbewusstsein als freie Volksvertreter abgäben.

Es ist eine einigermaßen heftig gefühlte Niederlage, wenn die Koalitionsspitzen gönnerhaft verkünden, sie würden sich mehr Diskussionen und Mitsprache der Regierungsfraktionen wünschen und künftig auch gewähren . . .

Mit Verlaub: Abgeordnete, die um Mitsprache bitten müssen, sind im falschen Haus.

Und apropos Haus: Vielleicht besinnt sich der neue Nationalrat auch in dieser Hinsicht seiner Würde - und stellt sicher, dass das Parlamentsgebäude entsprechend seiner Stellung als Volksvertretung endlich umfassend saniert wird.