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Wir sind "Charlie Hebdo"

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

Toleranz hat eine gern übersehene Eigenschaft: Sie hat Grenzen. Das Massaker in den Redaktionsräumen der französischen Zeitschrift "Charlie Hebdo" zeigt diese Grenze. Das wöchentliche Magazin hat gerne, klug und ausgiebig provoziert. Die Mörder kannten das Sonderheft "Charia Hebdo", das sich kritisch mit Radikalen auseinandersetzte, die den Islam missbrauchen. Das brachte der Redaktion bereits 2011 einen Brandanschlag ein.

Nun gab es einen geplanten und gezielten Anschlag. Es ist nicht nur ein Blutbad, angerichtet unter unschuldigen Menschen, es ist ein Angriff auf Europas Werte. Meinungsfreiheit ist ein besonders hoher Wert, und genau gegen diese Meinungsfreiheit ging es wohl dabei.

Keine Zeitungsredaktion Europas, aber auch keine Regierung und kein Parlament kann sich dies gefallen lassen. Auch Vorsicht im Umgang mit islamischen Themen wäre verfehlt.

Es sind nun die islamischen Glaubensgemeinschaften aufgerufen, sich deutlich zu artikulieren. Es war immerhin deren französischer Dachverband, der 2006 die Zeitschrift klagte, weil sie Karikaturen über Muslime veröffentlicht hatte. Die Klage wurde abgewiesen, zeigt aber, dass auch Glaubensgemeinschaften in Sachen Toleranz einiges dazulernen müssen.

In einer säkularen Gesellschaft stehen eben auch religiöse Themen in der Kritik. Satire ist eine Form dieser Kritik.

Darauf mit Kalaschnikows zu antworten, ist nicht nur abscheulich, es ist zutiefst anti-religiös. Das sollten die islamischen Glaubensgemeinschaften deutlich sagen. Es ist der schwerste Terroranschlag, den es jemals in Frankreich gegeben hat, und es ist ein schwerer Anschlag auf die Pressefreiheit.

Europa kann nur darauf reagieren, indem möglichst alle Zeitungen Karikaturen der Zeitschrift veröffentlichen. Vor den feigen Mördern Angst zu zeigen, wäre falsch - auch "Charlie Hebdo" gegenüber. Denn die Wochenzeitschrift setzt sich provokant nicht nur mit dem Islam, sondern auch mit allen anderen Religionen auseinander.

Viele Kollegen der Wochenzeitschrift sind tot, doch es muss möglich sein, dass sie ihre Arbeit fortsetzt. Der erste Teil des Zeitungstitels stammt von der Comicfigur "Charlie Brown". Und der sagte einmal: "Never forget, you’re someone special." Er gilt für "Charlie Hebdo", vor allem für deren Opfer.