Zum Hauptinhalt springen

EU-Geist in der Flasche

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

Als im Jahr 2004 acht osteuropäische Länder der Europäischen Union beitraten (2007 folgten Rumänien und Bulgarien, 2013 Kroatien) war die Freude groß, vor allem in Österreich. Die Teilung Europas war nach den Umbrüchen 1989 endgültig überwunden, Österreich rückte vom Rand in die Mitte. Die neuen Länder wie Polen, Ungarn, Tschechien oder die Slowakei wurden mit EU-Milliarden unterstützt, der Aufholprozess dort war und ist sehenswert.

Elf Jahre danach herrscht Ernüchterung. Eben diese Länder weigern sich schlicht, bei der Aufnahme von Flüchtlingen mitzuwirken. Noch bestürzender ist, dass die dortige Zivilgesellschaft dies insgesamt eher geschehen lässt - der Widerspruch der Bürger ist überschaubar.

Ist der europäische Geist, der die EU formte, verloren gegangen? Oder hat er in diesen Ländern womöglich nie eine Rolle gespielt? Beides ist wohl zu bejahen.

Die EU ist seit 2008 im Krisenmodus, was bei den Bürgern insgesamt nicht so gut ankam. Die Länder Osteuropas frönten nach dem Ende des Kommunismus ihrem Nationalismus, ohne dass es eine EU-Institution gegeben hätte, die dem entgegenwirkte. Die EU hat tatsächlich versagt, weil sie es verlernt hat klarzumachen, warum es sie überhaupt gibt.

Die vielen Flüchtlinge führen die Union nun an ihre Wurzeln zurück, doch gehen die Bürger mit? Anstatt den Nationalismus energisch zu bekämpfen, schwappte dieser nach Mitteleuropa über. Die EU beging den folgenschweren Fehler, sich als technische Abwicklungsstelle für Strukturfonds und Bankenrettungspakete zu verstehen. Nun versuchen Angela Merkel und Werner Faymann das Ruder herumzureißen, den "europäischen Geist" zu beschwören. Doch den haben sie selbst bei vielen EU-Gipfeln in der Flasche gelassen. Nun wird die Flasche geöffnet, aber der Geist will nicht heraus.

Stattdessen irrlichtern Politiker wie David Cameron und Viktor Orban herum - und proklamieren Nationalismus und Abschottung. Dabei ist es dringend erforderlich, dass sich Europa seiner Idee besinnt. Die Gefahr besteht, dass es dafür bereits zu spät ist, weil alle miteinander in den vergangenen Jahren so eklatant versagt haben. Der EU-Sondergipfel nächste Woche hängt daher an einem seidenen Faden. Wenn die 28 Regierungschefs da nichts zusammenbringen, dann war’s das wohl mit der EU.