Zum Hauptinhalt springen

Es geht hier nicht um Sex

Von Judith Belfkih

Leitartikel
Judith Belfkih.

Bei der aktuellen Debatte um sexuelle Belästigung geht es nicht um Sex. Es geht dabei auch nicht nur um Frauen und Männer. Es geht um Macht und deren Missbrauch - rein körperliche oder strukturelle Überlegenheit. Um Sexualität geht es nur insofern, als sie für den Machtmissbrauch instrumentalisiert wird. Diese Themenstränge auseinanderzudividieren ist die einzige Chance, konstruktiv auf den überhitzten wie verfahrenen Diskurs zu reagieren.

Machtmissbrauch durch Sexualität ist - neben individueller Erniedrigung - das Symptom eines gesellschaftlichen Ungleichgewichts zwischen den Geschlechtern. Männer sitzen im Machtspiel nun einmal meist am längern Hebel. Die Zahl an aktuellen Meldungen zeigt, dass sich sexuelle Übergriffe als Ausdruck dieser Asymmetrie etabliert haben - neben weiteren Symptomen von der Gehaltsschere bis zur Gläsernen Decke.

Dass es aktuell zu einem globalen Aufbegehren gegen sexuelle Übergriffe durch mächtige Männer kommt, ist also auch ein Aufschrei von Frauen gegen ihre historisch eingeschriebene Benachteiligung. Jede einzelne, formal noch so harmlose Grenzüberschreitung zementiert damit die herrschenden Verhältnisse weiter - und schadet auch all jenen, die das Glück hatten, nicht Opfer von Übergriffen geworden zu sein.

Dass es auch Frauen gibt, die ihre sexuelle Macht über Männer ausspielen, also ihren Körper aktiv für beruflichen Erfolg einsetzen, ist ein weiterer Beleg für die Systemschieflage: Sie trauen sich offenbar nicht zu, auch anders zum Erfolg zu kommen. Ein Armutszeugnis für alle.

Was es braucht, sind Regelungen, die konkrete Einzelfälle verhindern oder zumindest mit klaren Konsequenzen belegen. Langfristig effektiver als neue Grapsch-Paragrafen sind jedoch Maßnahmen, die das dahinterstehende Ungleichgewicht angehen - durch gleiche Löhne, leistbare Kinderbetreuung und notfalls auch Frauenquoten.

Die Welt wäre keine bessere, wenn Frauen alle Machtpositionen innehätten. Wo sich Macht konzentriert, wird sie missbraucht. Alles andere wäre Illusion. Um das zu unterbinden, braucht es zusätzlich zur adäquaten Verteilung von Macht auf die Geschlechter auch eine neue Machtkultur. Eine, die Macht als etwas betrachtet, das Schwächere schützt, statt sich auf ihre Kosten selbst erst mächtig zu fühlen. Auch mit Verantwortung sorgsamer und besser umzugehen, ist dafür unabdingbar. Für alle Geschlechter.