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Die Städte begehren auf

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Das deutsche Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am Dienstag eine Grundsatzentscheidung getroffen: Städte haben das Recht, auch ohne bundesgesetzliche Regelung aufgrund überhöhter Stickoxidwerte Fahrverbote für Diesel-Pkw zu erlassen. Die Länder waren gegen diese Möglichkeit im Vorfeld Sturm gelaufen, die Börsenwerte betroffener Autokonzerne rasselten nach dem Spruch des Gerichts in den Keller.

Ob es nun tatsächlich zu solchen Verboten kommen wird, ist offen; und unabhängig davon, wie man inhaltlich dazu steht, wirft das Urteil zahlreiche praktische Fragen auf. Wie lassen sich betroffene Diesel-Pkw von jenen Autos unterscheiden, die freie Fahrt genießen? Wer soll von Ausnahmen, die es sicher geben wird müssen, profitieren: nur Rettung, Feuerwehr und Polizei oder auch die städtischen Betriebe? Wie ist das mit Handwerkern, die zu einem dringenden Fall gerufen werden? Wahrscheinlich wird es nicht ohne bundeseinheitliche Kennzeichnung von "sauberen" Autos und Dreckschleudern gehen. Und bis es so weit ist, kann es noch ein wenig dauern.

Doch diese praktischen Fragen ändern nichts am epochalen Charakter der Grundsatzentscheidung. Denn sie macht einen großen Trend in unserer politischen Entwicklung deutlich und für jeden Bürger greifbar: die Stärkung der kommunalen Ebene, insbesondere der Städte, im politischen Entscheidungsprozess. Und das ist beileibe kein europäisches Phänomen, sondern eine Begleiterscheinung der Globalisierung, die auch mit einer massiven Urbanisierung einhergeht. Und wie schon zu Beginn der Entstehung Europas, im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, erkämpfen sich auch heute die Städte neue Rechte von den übergeordneten Instanzen.

Das ist natürlich nackter Notwendigkeit geschuldet. Die Gemeinden und Städte sind jene Orte, wo die Bedürfnisse der Bürger am unmittelbarsten auf die Umsetzungsqualität der Politik treffen. Egal, welcher Ideologie ein Bürger anhängt, den Anspruch auf eine funktionierende Infrastruktur für Bildung, Wasser, saubere Umwelt, Energie, Sport und Kultur erheben sie alle, und zwar ausnahmslos. Wer als Politiker hier nicht "liefert", kann sich nicht, oder jedenfalls nicht lange, mit flotten Sprüchen hinüberretten. Erstaunlicherweise funktioniert hier auch noch der Dialog zwischen Wählern und Gewählten weitgehend ohne all jene Verzerrungen, die bereits von der nationalen und europäischen Ebene Besitz ergriffen haben.

Der freie Weg zu Sperrzonen für Diesel-Pkw ist demnach nur ein weiterer Schritt in einer bereits eingeleiteten Entwicklung. Auf Diesel-Verbote werden andere Ver- und Gebote folgen, und auf Deutschland andere Staaten. Demnächst auch Österreich?