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Ein Ziel, kein Fetisch

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

1962, in einem Wahljahr, gelang es dem österreichischen Staatshaushalt zum bis dato letzten Mal, keine neuen Schulden zu machen. Damals hieß der Bundeskanzler einer schwarz-roten Koalition Alfons Gorbach von der ÖVP, der heute weitgehend vergessen ist. Einen administrativen Saldo-Überschuss, also wenn bei einer simplen Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben des Bundes ein Plus verbleibt, erreichte die Republik zuletzt 1954.

Nach 57 Jahren soll es nun, geht es nach dem Willen der Regierung und den Budgetplänen des Finanzministers, 2019 wieder so weit sein. Dass es sich dabei, wie auch die Regierung eingesteht, genau genommen um ein administratives Nulldefizit handelt, soll nicht verschwiegen sein; ein "richtiges" ist dann, wenn die Konjunktur weiter gnädig brummt, für 2020 vorgesehen.

Ganz neutral formuliert kennt Österreichs aktuelle Politikergeneration ein Nulldefizit also nur vom Hörensagen der Altvorderen. Vielleicht erklärt sich auch dadurch die politische Anziehungskraft des Begriffs, jedenfalls für das Gros der Wähler und die meisten nicht-linken Parteien. Aber politisch argumentieren und verkaufen muss man es halt auch können. Dass ein Finanzminister namens KHG dieses Ziel vor bald 20 Jahren in einen reinen Marketinggag verwandelt hat, hat zudem dem politischen Ziel eines ausgeglichenen Haushalts, um von Überschüssen gar nicht zu reden, massiv geschadet.

Grundsätzlicher in Frage gestellt wird das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts von linker Seite. Zweifellos stimmt, dass es ein "Kardinalfehler" ist, "das Null-Defizit zum obersten Ziel der Budgetpolitik zu erklären", wie etwa Bruno Rossmann, der Budgetsprecher der Liste Pilz meint. Sein Schluss angesichts weiter bestehender Armut und Arbeitslosigkeit lautet deshalb: "Null-Armut statt Null-Defizit".

Das klingt nicht nur gut, sondern auch ein bisschen wie eine moderne Version der alten Wunschvorstellung, wonach Staaten nicht pleitegehen können. Mit diesem Mythos hat bezeichnenderweise Griechenland im Zuge der Finanzkrise gründlich aufgeräumt.

Mit einer Fetischisierung eines Nulldefizits hat das trotzdem nichts zu tun. Es ist völlig unbestritten, dass ein Staat in Zeiten ökonomischer Krisen mit öffentlichen Mitteln gegensteuern muss. Solche Defizite sind, gesamtwirtschaftlich betrachtet, gut, ja sogar hervorragend investiertes Geld.

Aktuell befindet sich die Republik gerade auf einem Wellengipfel im Konjunkturzyklus: Sehr viel mehr Wachstum geht für eine etablierte Wirtschaft gar nicht. Wann also, wenn nicht jetzt, sollte die Republik sich jenen budgetären Spielraum verschaffen, den sie in schlechteren Zeiten dringend benötigen wird? Historisch wäre es auf jeden Fall.