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Aus Angst am Limit

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Wer schreit, hat unrecht. So lautete ein einst verbreiteter Erziehungsspruch von Eltern an ihren Nachwuchs in emotional herausfordernden Situationen. Natürlich haben sich die Altvorderen selbst nicht an ihren Rat gehalten, aber es war immerhin ein Orientierungspunkt.

Dass heute auch in der Politik verlässlich am Limit gestritten wird, sei es, wie jetzt bei der Budgetdebatte im Parlament oder in den sozialen Medien, hat mit der Angst der Parteien zu tun. Tatsächlich ist deren politische Existenz so prekär wie die Chancen gering qualifizierter Risikogruppen am Arbeitsmarkt.

Wenn früher in der Politik gepflegt gestritten wurde, konnten sich die Streitparteien sicher sein, dass sie auch noch nach der nächsten Wahl in vergleichbarer Stärke vertreten sein werden. Der alte Lagerkampf stabilisierte die Parteienlandschaft.

Heute ist es umgekehrt, weil sich die ökonomisch-sozialen Konfliktlinien in der Gesellschaft in wesentlichen Bereichen, wenngleich nicht überall, von den parteipolitischen Gräben emanzipiert haben. Das setzt die Politik unter Stress.

Um zu erkennen, wie sehr, muss man nur das Wahlergebnis des ersten Durchgangs zur Bundespräsidentenwahl 2016 hernehmen: Der FPÖ-Kandidat erreichte damals 35 Prozent, der Ex-Chef der Grünen 21 Prozent, die Neos-Kandidatin fast 19 und die Vertreter von SPÖ und ÖVP 11 Prozent. Die jüngste Nationalratswahl brachte dann einen Sieg der ÖVP vor SPÖ und FPÖ, während die Grünen aus dem Parlament flogen. Mit anderen Köpfen mit anderen Themen ist jederzeit auch ein völlig anderes Ergebnis möglich. Keine Partei kann sich ihrer Wähler mehr sicher sein.

Diese neue Grundkonstellation unserer Demokratie hat Folgen für die Strategien der Parteien; die spürbarste ist, den Lautstärkeregler voll aufzudrehen. Und zwar auch dann, wenn die Sache es eigentlich gar nicht hergibt. Doch Existenzangst ist eben selten ein guter Ratgeber. Und wer immer hart am Extrem kommuniziert und argumentiert, dem droht die Fähigkeit zur Differenzierung abhandenzukommen.

Natürlich sitzen die Avantgardisten dieser Entwicklung im Heimatland des immerwährenden Fortschritts. Für Donald Trump ist Lärmerzeugung der Kern seines politischen Aufstiegs und Überlebenskampfes. Die Themen, ob Mauerbau, Einwanderungsverbote oder jetzt eben Strafzölle, sind dabei beliebig austauschbar.

Offen ist, wie die Wähler mit der nackten Überlebensangst der Parteien umgehen werden.

Normalerweise ist die Konstellation ja umgekehrt. Und die meisten Bürger reagieren mit neuen Ideen und gesteigertem Einsatz auf solche Herausforderungen. Aber vielleicht fällt der Politik ja noch etwas anders als das Drehen am Lautstärkeregler ein.