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Pragmatisch ist anders

Von Simon Rosner

Leitartikel
Simon Rosner
© Thomas Seifert

Hat man Sebastian Kurz nicht einen pragmatischen Zugang nachgesagt? Einen Zugang, der sich, wenn es Zeit und Problem verlangen, auch parteipolitischen Dogmen entzieht? Asylwerbern die Möglichkeit einer Lehre zu nehmen, entzieht sich aber jedenfalls Ideen des Grundsatz- sowie des Wahlprogramms der ÖVP. Da wie dort ist nämlich "Integration durch Leistung" als Grundgedanke festgeschrieben, was genau jenem Weg entspricht, den junge Asylwerber eingeschlagen haben, die während ihres Verfahrens eine Lehre absolvieren. Sie wollen sich so früh wie möglich in Gesellschaft und Arbeitsmarkt integrieren. Durch Leistung.

Damit wird es vorbei sein, wenn die Regierung den Erlass aus dem Jahr 2013 zurücknimmt, der in Mangelberufen Asylwerbern die Chance auf eine Lehre gab.

Dabei war dieser Erlass ein Musterbeispiel für jene Politik, die der "Neue Stil" für sich reklamiert: pragmatische Politik fernab von überlebter Parteipolitik. Es war nämlich SPÖ-Sozialminister Rudolf Hundstorfer, der einem Wunsch der Wirtschaft nachkam, die das wachsende Problem des Lehrlingsmangels beklagte. Auch NGOs, die zum Nichtstun gezwungene jugendliche Flüchtlinge betreuen, waren dafür. Fadesse und Adoleszenz sind bekanntlich keine gute Mischung. Der Erlass war also eine Maßnahme, die gleich zwei Probleme tangierte. Der Lehrlingsmangel wurde tatsächlich gebremst, zudem hatten Jugendliche auf einmal eine Perspektive.

Das Modell funktionierte, solange man es auch pragmatisch umsetzte. Die meisten Asylwerber wurden zu anerkannten Flüchtlingen, und wenn ab und zu ein tüchtiger Lehrling einen negativen Bescheid erhielt, durfte er oft dennoch bleiben. Darum hatte sich die Republik auch die rechtliche Option des "humanitären Bleiberechts" verpasst - nicht nur um human zu sein, sondern auch um selbst entscheiden zu können, ob nicht doch jemand bleiben soll, weil er oder sie wichtig für das Land ist. Es ist deshalb aber keine "Umgehung des Asylsystems".

Der Pragmatismus (im vorgegebenen rechtlichen Rahmen) ist aus der gelebten Praxis verschwunden - legitim, aber eben dogmatisch. Das hat dazu geführt, dass vor allem Gastronomen um ihre Arbeitskräfte, die abgeschoben werden sollten, öffentlich kämpften. Das ist der Regierung unangenehm. Verständlich. Der Unmut der Betriebe soll mit einer Rot-Weiß-Rot-Card für Lehrlinge besänftigt werden. Ob das funktioniert? Und wenn, dann würde es insgesamt sogar mehr Zuwanderung bedeuten, da die Asylwerber ja auch ohne Lehre hier sind. Die Regierung agiert also nicht nur nicht pragmatisch, sondern eigentlich auch nicht stimmig.