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Abgang auf Raten

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Christian Kern will bei den EU-Wahlen im Mai für das EU-Parlament kandidieren - als Spitzenkandidat in Österreich. Ob ihn, den abgewählten Kanzler, auch die europäischen Sozialdemokraten an die Spitze hieven, muss sich erst noch weisen.

Spätestens dann benötigt die SPÖ auch einen neuen Vorsitzenden. Wer Kern in dieser Rolle nachfolgt, ist völlig offen. Seie Partei erwischt er damit auf dem völlig falschen Fuß. Für Anfang Oktober hat die SPÖ zum Bundesparteitag für Anfang Oktober eingeladen.

Kern wird diese Gelegenheit nutzen, um die verunsicherte Partei für den Europa-Wahlkampf zu mobilisieren.

Mit der überraschenden Volte gewinnt die EU-Wahl an Reiz. Kern wird alles daran setzen, seine Schlappe von der Nationalratswahl vergessen zu machen. Leicht wird das nicht werden.

Gleichzeitig spricht viel dafür, dass Kern damit seinen Ausstieg aus der Spitzenpolitik einleitet. Spitzenjobs in Brüssel und Straßburg sind für Österreicher rar, zumal der europäischen Sozialdemokratie ein schwaches Abschneiden prognostiziert wird.

Innenpolitisch spielt die SPÖ derzeit nur eine Nebenrolle. Das hat auch viel mit Kern als Person zu tun, der sich in der Rolle als Oppositionschef sichtlich nicht wohlgefühlt hat. Auch deshalb spielt die SPÖ in der Kampagne der Arbeitnehmer gegen die Regierungspolitik - Stichwort 12-Stunden-Tag und Kassenreform - nur eine Nebenrolle.

Wer auch immer jetzt an die SPÖ-Spitze rückt, wird nur ein Übergangskandidat sein. Der nächste rote Kanzlerkandidat steht in den Sternen. Das ist das schlimmste Los in einer Zeit, in der Personen mit den Inhalten einer Partei eine unauflösbare Symbiose eingehen.

Im Übrigen wäre es wünschenswert für die Republik, dass die politische Auseinandersetzung im Parlament stattfindet und nicht in den Betrieben. Dazu braucht es allerdings eine Opposition.

Kern ist in kürzester Zeit zum Star aufgestiegen und in Rekordtempo verbrannt. Was im Frühjahr 2016 wie ein Zauber für die SPÖ-Anhänger - und längst nicht nur sie - begann, stellte sich am Ende als ein großes Missverständnis heraus. Im besten Fall bleiben die Jahre Kern als SPÖ-Chef eine Fußnote in der 130-jährigen Geschichte der Partei. Nämlich dann, wenn sich das Tief, in dem die Sozialdemokratie europaweit steckt, nur als Momentaufnahme erweisen sollte. Schlimmstenfalls kennzeichnen sie jenen Bruch, an dem die Partei, die die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt hatte, auch in Österreich zu einem Nebendarsteller herabzusinken begann.

Die SPÖ sollte nicht den Fehler machen, dieses Szenario als Wunschdenken ihrer Gegner vom Tisch zu wischen.