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Der Staat muss es richten

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Die Lösung des Impfstoffmangels ist mehr Staat, nicht weniger.


Viel früher als gedacht konnte ein wirksamer Impfstoff gegen Covid-19 entwickelt werden. Die Wissenschaft hat geliefert.

Aber es gibt Streit. Denn: Das Management der Pharma-Konzerne war weniger erfolgreich.

Der schwarze Peter wurde zuletzt der Politik zugeschoben: Die EU-Kommission habe zu spät eingekauft und versucht, die Preise zu drücken. Tatsächlich hat die EU Verträge über 1,6 Milliarden Dosen Impfstoff abgeschlossen, die Länder der EU und Brüssel haben zudem Impfstoff-Forschung und -Entwicklung mit Milliardenbeträgen unterstützt. Für jeden EU-Bürger wurden 3,5 Dosen Impfstoff bestellt, nur Kanada, Großbritannien und die USA haben pro Person mehr Impfstoff eingekauft als die Europäer.

Doch warum steht nicht genügend Impfstoff zur Verfügung?

Pharmakonzerne sind größtenteils börsennotierte Unternehmen und keine gemeinnützigen öffentlichen Einrichtungen. Kein Vorstandsvorsitzender kann dem Aufsichtsrat gegenüber argumentieren, warum er den Bau von Produktionsanlagen für einen Impfstoff in Auftrag gibt, von dem er nicht einmal weiß, ob er jemals funktionieren wird.

Betriebswirte achten eben auf Profitabilität und Rentabilität.

Volkswirte würden eine andere Rechnung aufstellen: Die Kosten der Pandemie gehen in die Fantastilliarden. Also kommt es auf ein paar hundert Millionen an möglichen Fehlinvestitionen nicht an - es gab schon sinnlosere Projekte als ein paar Impfstoff-Fabriken, die nach dem Ende der Pandemie unnütz in der Landschaft stehen.

Die Politik braucht nun also den Mut, massiv ins Wirtschaftsgeschehen einzugreifen - über notwendige Wirtschaftshilfen hinaus. Moritz Schularick, Professor für Makroökonomie und Direktor des Macrofinance Lab an der Universität Bonn, schlägt im "Spiegel" vor, notfalls Produktionskapazitäten, die für die Produktion des Impfstoffs benötigt werden, bei der Konkurrenz zu requirieren: "Andere Produktion muss warten. Patente werden benutzt, um in Lizenz zu produzieren. Abgerechnet wird später."

Und Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) weist - ebenfalls im "Spiegel" - darauf hin, dass die Politik die Erhöhung der Produktionskapazitäten für Impfstoffe vernachlässigt hat: "Die Firmen hätten finanziell einen relativ geringen Anreiz, Impfstoffe früher zu produzieren, wenn sie bereits einen Vertrag für eine fixe Anzahl von Dosen haben. Die Politik hätte Anreize zum Aufbau von Produktionskapazitäten setzen müssen."

Die Pandemie hat gezeigt, dass es ein neues, vernetzteres Denken braucht. Ein guter Denksport für die nächste Herausforderung, die auf die Menschheit wartet: der Klimawandel.