Wien. Dreißig. Einunddreißig. Zweiunddreißig. Dreiunddreißig. Es ist ein beliebtes Zählspiel hierzulande. Ein unheimliches. Woche für Woche wird es gespielt. Mit fast schon masochistischer Lust. Die Regeln sind einfach. Je höher die Zahl, desto größer der Schauder. Es sind die Umfragewerte der Freiheitlichen Partei. Auf Bundesebene. Auf Landesebene. In der Kanzlerfrage.

Die FPÖ ist nicht zu stoppen, verkünden Meinungsforscher. Die Wahlergebnisse geben ihnen recht. Zuerst im Burgenland, dann in der Steiermark und nun in Oberösterreich. Auch in Wien wird am 11. Oktober mit einem Wahltriumph der Freiheitlichen gerechnet. Die Szenarien dafür sind gezeichnet. Die Drohkulisse längst aufgebaut. Und die Analysen schon für den Tag danach vorbereitet, wenn Experten einmal mehr erklären sollen, wie es so weit kommen konnte.

Dabei kennt man die Antworten. Schon seit 30 Jahren. Man weiß um den Frust, die Angst und die erodierende Loyalität zur einstigen Stammpartei, die längst ihr Profil verloren hat. Das Warum scheint abgehandelt zu sein. Es ist das Wie, dessen Beantwortung aussteht. Wie hält man sie auf, die Populisten? Seit Jahrzehnten zerbrechen sich Politikwissenschafter aus ganz Europa den Kopf darüber. Kein Land hat es geschafft, den Sirenenrufen der Verführer zu widerstehen, selbst die liberalsten Gesellschaften haben vor den nativistischen selbst ernannten Volksverstehern kapituliert. Dabei war genug Zeit sich Antworten zu überlegen. Dennoch, die Politikwissenschafter rätseln. Eine eindeutige Antwort haben sie nicht gefunden. Das wäre zu simpel, gar naiv. Vielleicht aber einfach auch zu ambitioniert. Man hat höchstens einen Baukasten von ausbaufähigen Vorschlägen. Trotzdem ist es wert, einen Blick hinein zu werfen.

Anleitung
zum Drachentöten

Illustration: Peter M. Hoffmann
Illustration: Peter M. Hoffmann

Es wäre anzunehmen, dass hierzulande bereits eine Gebrauchsanleitung zum richtigen Umgang mit Rechtspopulismus vorliegt. Genießt Österreich doch einen gewissen Veteranenstatus unter seinen europäischen Nachbarn - in jeder Hinsicht. Alles wurde bereits probiert: Abgrenzung, Dämonisierung, Rehabilitation, Liebäugelei und schließlich Umarmung. Gerne wird ihrer erinnert. Hat sie doch zur Beinahe-Zerstörung der FPÖ beigetragen, wenn auch nur für wenige Jahre, bis sich die Partei wieder zu alter Größe  aufrappelte.

Es ist die Legende des Drachentöters Wolfgang Schüssel. Wie er 1999 auszog, die schwarz-blaue Regierung zu bilden, als drittstärkste Kraft den Bundeskanzler stellte und ein paar Jahre später, 2002, seinen Koalitionspartner bei Neuwahlen regelrecht zertrümmerte. Ist das die Lösung? Ein nachahmbares, gar exportierfähiges Modell für den richtigen Umgang mit den unliebsamen Konkurrenten? Nach dem Motto: Gib dem Rabauken das Spielzeug und sieh, wie ungeschickt er damit umgeht, fast noch ungeschickter als sein Sitznachbar, der bisher damit spielen durfte? "Wenn ich sage, dass ich meinen politischen Gegner bekämpfe, indem ich ihn in die Regierung hieve, dann ist das für mich die Selbstaufgabe", sagt der Politologe und Strategieberater Thomas Hofer.

Sein Kollege, der Politikwissenschafter Anton Pelinka ist ebenso skeptisch: "Der Drache hat mehrere Leben und mehrere Köpfe. Wenn man einen Kopf abschlägt, wächst ein anderer nach", sagt er, "Herr Strache ist nicht das Problem, sondern die 30 Prozent, die ihn wählen würden. In der Gesellschaft liegt die Ursache."

Du sollst
nicht beschämen

"Es sind die hässlichsten Menschen Wiens, ungestalte, unförmige Leiber, strohige, stumpfe Haare, ohne Schnitt, ungepflegt, Glitzer-T-Shirts, die spannen, Trainingshosen, Leggins. Pickelhaut. Schlechte Zähne, ausgeleierte Schuhe", beschrieb vor einigen Wochen das Nachrichtenmagazin "Profil" das Publikum am Viktor-Adler-Markt beim Wahlkampfauftakt der FPÖ. Persönliche Eindrücke wollte die Autorin wiedergeben, nicht die weniger Privilegierten verunglimpfen, schreibt sie in einem Kommentar. Zu spät. Die FPÖ hat sich längst für das Geschenk bedankt. Wieder einmal wurde die Partei bestätigt in ihrem Freund-Feind Schema, in dem von denen "da oben" auf die "da unten" herabgesehen wird.

"Wer potenziell rechtsextreme Wählergruppen beschämt, verstärkt ihre Ressentiments", schreibt der deutsche Psychologe und Psychoanalytiker Micha Hilgers 2007 in einem Artikel zur Politischen Psychologie. Auch im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" kommt der gebürtige Aachener zu dem Schluss: Wer die Sympathisanten und Anhänger rechtspopulistischer Gruppen beschämt, sie dämonisiert, demütigt und lächerlich macht, treibt sie geradewegs in die Arme der Rechten. Ihnen mit moralischer Empörung und Betroffenheit zu kommen, ist kontraproduktiv. Es gilt: Der Wähler ist tabu. Nur die Protagonisten dürfen angegriffen werden. Doch auch hier gilt Vorsicht.

Ihnen schulmeisterhaft vor laufender Kamera Fremdworte zu erklären - wie das gelegentlich von Moderatoren in heimischen TV-Diskussionen gemacht wird -, ist der Sache weniger dienlich. Sich ihnen mit voyeuristischer Lust anzunähern, sie Woche für Woche auf das Cover zu tun und mit einer gewissen "Lust am Untergang" - wie es Politologe Hofer bezeichnet - vor ihnen zu warnen, ebenso. Hilgers empfiehlt: Wer sie vor ihren (potenziellen) Wählern bloßstellen will, muss sich sachlich mit den Protagonisten auseinandersetzen und ihre Argumente einzeln zerpflücken. Solange bis klar ist, dass hinter jeder Parole nicht mehr steckt als billiger Stimmenfang auf Kosten von jenen "da unten."